Sagenumwobenes Bodetal


Odin an der WalpurgishalleAn diesem herrlichen, windig-kühlen Frühlingtag (der Eisheilige Servatius läßt grüßen) lockt die Sonne hinaus in den Wald – diesmal ins sagenumwobene Bodetal (1) zwischen Treseburg und Thale, beginnend am Wanderparkplatz in Treseburg. Anfang April bin ich schon einmal in diesem Jahr hier gegangen – welch ein Unterschied zu diesem Maientag! Damals waren die Wälder noch kahl, blühten zaghaft die ersten Buschwindröschen und der Hohle Lerchensporn mit seinen zwei Farbvarianten, lilablau und weiß. Aus dem Boden stieg noch die Kälte des Winters, grau und abweisend blickten die schroffen Gesteinshänge auf den Wanderer, auch die Seele noch voll von Frost und Dunkelheit, das Draußensein nur dem wiedererwachenden Bewegungsdrang geschuldet. Auch heute ist die Luft noch kalt, läßt den vergangenen Winter noch erahnen, aber der Wald strahlt bereits in frischem, jungem Lichtgrün, die Sonne blickt durch die Zweige direkt ins Herz und füllt es mit Frohsinn und Maienliedern. Unzählige Blumen säumen den Wegesrand, an manchen Stellen sind ganze Hänge voll des betäubenden Dufts der Mondviole. Auch Maiglöckchen, Hahnenfuß und Aronstab finden sich hier, eine Rötelmaus huscht durch das alte Laub und verschwindet in einem hohlen Baumstamm. Maigloeckchen

Die Bode rauscht und plätschert mal weit unten, dann wieder direkt neben dem Weg einher, der von November bis April wegen Steinschlagsgefahr für Wanderer gesperrt ist. Durch die Zweige tönt der Buchfinkenschlag, Meisen turnen durch das Geäst, und Amseln suchen an den Hängen nach Regenwürmern. Wie schön es ist, hier zu sein!

Eiche im GeroellWeiter geht es die Bode entlang Richtung Thale, immer wieder verengt sich das Tal für einen Moment, tauchen große Felswände an der Seite auf, rauscht die Bode für einen Augenblick wild durch das enge steinerne Bett. Dann öffnen sich zur Rechten große Schuttflächen, Überreste der Hangrutsche im Frühjahr 2010. Im April waren die knorrigen, den Schuttmassen trotzenden Eichen am Hang noch kahl, jetzt kontrastiert das frische junge Grün des Frühlingsaustriebs wohltuend mit dem Grau der Steine. Noch ein wenig weiter, dann öffnet sich der Blick auf die imposanten Hänge, die manchen Besucher vom „Grand Canyon des Harzes“ sprechen lassen. Über Felsen geht es abwärts, dann steht der Wanderer vor dem Bodekessel, der der Sage nach die Krone der Harzkönigin auf seinem Grund verbergen soll, bewacht von einem Drachen. Und das kam so: Emma (in anderen Variationen Brunhilde), die Tochter des Harzkönigs, hatte einen Mann von ihres Vaters nicht gemäßen Stands zum Mann nehmen wollen – der Vater, seines Verderbens sicher, stellte ihm die Aufgabe, einen Riesen auf Island zu bezwingen. Kehre er binnen zweier Jahre zurück, sei die Hand der Tochter ihm gewährt. In zwei Jahren war das nicht zu schaffen, und so kehrte der Geliebte verspätet zurück – währenddessen hatte der Harzkönig seine Tochter bereits Bodo, dem König des Riesengebirges, versprochen. Auf weißem Zauberpferd floh sie vor dem unerwünschten Freier und rettete sich mit einem kühnen Sprung über das Bodetal. Wo der Huf ihres Pferdes auf den Stein aufschlug, bildete sich als Abdruck die heutige Roßtrappe. Ihre Krone fiel dabei in den Bodekessel, ihr Verfolger, der König des Riesengebirges, stürzte beim selben Sprung in den Fluß und verwandelte sich durch seine Zauberkunst in den Drachen, der die Krone bewacht. Nach ihm soll die Bode ihren Namen haben, und dem Glück des jungen Paares stand nichts mehr im Wege. Bodekessel
Weniger Glück dagegen hatte ein anderes Paar, viele Jahre später: nach einer Morgenlandfahrt zum Beweis seiner Tapferkeit wurde der Graf von Reinstein beim Versuch, die Krone der Harzkönigin zu bergen, vom Drachen zerrissen. Diese Aufgabe hatte der Vater, der Graf von Lauenburg, allen Freiern gestellt, die um die Hand seiner Tochter anhielten. (2)

Jetzt, im Frühjahr, im touristisch erschlossenen Bodetal, neben einer gezähmten und wenig wasserführenden Bode, bei strahlendem Sonnenschein wirkt die Vorstellung eines grausigen Drachen im Bodekessels sehr unwirklich, ist näher vielleicht inmitten eines brausenden Herbststurms. Weiter geht es, an Felsen entlang, vorbei am Gasthaus Königsruhe im Hirschgrund. Leider ist der Serpentinenweg durch die Schuttflächen, die Schurre, 1864 angelegt, nach den Felsstürzen noch immer für Wanderer gesperrt – dort hätte man sicherlich die eine oder andere botanische Seltenheit entdecken können. So muß nun eben der Präsidentenweg auf die Roßtrappe genommen werden, der seinem Namen alle Ehre macht: gepflegt, breit und in milden Serpentinen führt er hinauf zum Berghotel Roßtrappe und an den Aussichtsfelsen. Wer nicht gut zu Fuß ist, kann an dieser Stelle auch den Sessellift nehmen. Die Aussicht von der Roßtrappe ist überwältigend: tief unten die Bode, von Felstürmen umgeben, die durch den frühlingshaften Wald ragen. Gegenüber der Hexentanzplatz: diesen Abgrund konnte wirklich nur ein Zauberpferd überwunden haben! Auf der Roßtrappe mischt sich Fliederduft auf eigenartige Weise mit dem Fischduft des blühenden Weißdorns, der durch enthaltenes Trimethylamin zustande kommt, am Boden findet sich die Vielblütige Weißwurz (Polygonatum multiflorum).

Vielblütige Weisswurz - Polygonatum multiflorumWeiter geht es, nun wieder abwärts auf dem Präsidentenweg zurück zur Bode, dann an der Talstation der neuen Kabinenbahn, die den Hexentanzplatz anfährt, vorbei, über die Bode hinweg. Hier erinnert eine Tafel an den Heimatdichter und –forscher Theodor Nolte (3), auf den an anderer Stelle nochmals ein Steindenkmal mit einem Sonnensymbol hinweist. Aufwärts nun wieder, über den Hexenstieg hinauf zum Hexentanzplatz. Man kann erahnen, wieso der Hexenstieg seinen Namen hat: steil und steinig, wie er ist, sollte man über den Boden mit einem Besen dahinschweben, als Nichthexe bleibt einem hingegen nur der mühsame Aufstieg zu Fuß. Man erreicht zunächst den Platz vor der Walpurgishalle, in deren First eingearbeitet Odin mit den beiden Raben Hugin und Munin über das Bodetal blickt. Auch weitere mythische Tiere, mit Odin verbunden, sind in die Fassade eingearbeitet: die Wölfe Geri und Freki sowie sein Roß Sleipnir. Nebenan ist das Bergtheater von Thale angesiedelt, das regelmäßig Veranstaltungen anbietet, und verläuft ein Stück des Sachsenwalls (4).

Blick vom Hexentanzplatz im MaiVom Hexentanzplatz (5) aus hat man erneut einen grandiosen Blick über das Bodetal, tief unten, von schroffen Felswänden bedroht, liegt das Gasthaus im Hirschgrund wie ein winziges fragiles Spielzeug in den Händen der gewaltigen Natur. Hier oben findet sich auch ein Tierpark, der den Besuchern die heimische Tierwelt nahebringt. Am Tierpark entlang führt der Weg nun zurück über die Höhen nach Treseburg. Es ist schon spät geworden, kaum noch andere Wanderer sind unterwegs. Dann hebt ein seltsames Geräusch im Wald an: die Wölfe des Tierparks beginnen, in mehrstimmigem Konzert zu heulen. Weit hallt der Laut in die Wälder, und tief in der Seele muß eine Resonanz für diesen Laut vorhanden sein, ein Zeichen aus Urzeiten, Gefahr bedeutend: trotz rationalen Wissens um den Tierpark setzt der Herzschlag in dieser Abendstunde unwillkürlich einen Moment aus, zieht ein leichter Schauer über den Rücken: was wäre, wenn…

Ein Abstecher lockt noch zur Prinzensicht, dem letzten abgelegenen Ausblick über das Bodetal, ein Ort voller Stille und Waldeinsamkeit nach dem touristischen Trubel auf dem Hexentanzplatz. Dann geht es über Forststraßen, am Pfeildenkmal (6) vorbei, endgültig zurück nach Treseburg. Eine Bank am Aussichtspunkt „Weißer Hirsch“ lädt zum Betrachten des Sonnenuntergangs ein. Der steile Abstieg nach Treseburg erfolgt schon in nächtlicher Dämmerung – ein anstrengender, aber wunderbar erlebnisreicher Wandertag ist vollendet.

Blick vom Hexenstieg auf die Landschaft um Thale


(1) Laut Informationstafel am Wanderweg: erstmals in einer preußischen Verordnung 1905 als „Naturschutzgebiet Bodetal in der Oberförsterei Thale“ erwähnt,
am 05.03.1937 dann auf der Grundlage des Reichsnaturschutzgesetzes als „Naturschutzgebiet Bodetal im Harz“ in das Reichsnaturschutzbuch eingetragen.

(2) vgl. „Die Roßtrappe“ sowie „Die Krone im Bodekessel“, aus: Im Zauberbann des Harzgebirges, gesammelt von Marie Kutschmann, mit Holzschnitten von Theodor Kutschmann, neu herausgegeben von Eva Gussek, Verlag Dr. Bussert & Stadeler, Jena/ Quedlinburg 2002, ISBN 3-932906-26-8, S. 59 – 81

(3) Laut Gedenktafel: geboren 1848 in Magdeburg, gestorben 1919 in Thale
Er erlernte zunächst das Bäckerhandwerk und ließ sich nach Wanderjahren in Quedlinburg nieder, in seiner Freizeit beschäftigte er sich mit heimatkundlicher Arbeit.
Einige seiner Schriften:
– Die Roßtrappe, der Hexentanzplatz und das Bodetal in landschaftlicher und geschichtlicher Beziehung und ihre Sagenwelt
– Die Bedeutung der Roßtrappe als heidnische Opferstätte des Germanentums vor 2000 Jahren
– Der altheilige Stein in der Walpurgishalle auf dem Hexentanzplatz
Zudem bemühte er sich sehr um das Bergtheater von Thale.

(4) Laut Informationstafel vor Ort: Vorburgbefestigung in Form eines Walls aus Granitsteinen der Homburg, die auf dem äußeren Sporn des Hexentanzplatzmassivs lag, errichtet zwischen 450 und 700 v. Chr., wahrscheinlich auch neben seiner Funktion als Fluchtburg kultisch genutzt.

(5) Laut Informationstafel am Hexentanzplatz ist der Ursprung des Namens nicht geklärt; es gibt Hinweise darauf, daß es der Tanzplatz der Harzkönigin vor oder nach dem Bodesprung gewesen sein soll oder aber Rastplatz der Hexen auf ihrem Weg zur Walpurgisfeier auf dem Brocken.
Walpurgisfeiern wurden hier oft durchgeführt, ihr Ursprung liegt vermutlich im germanischen Frühlingsfest, das die Vermählung von Wotan mit der Fruchtbarkeitsgöttin Freya feierte.
Die Heilige Walpurga, nach der die Walpurgisfeiern heute heißen, hatte vermutlich Bindeglied zwischen germanischen und christlichen Glaubensinhalten sein sollen.

(6) Laut Informationstafel am Denkmal: Dem Direktor der preußischen Forstakademie an der Berliner Universität, Friedrich Wilhelm Leopold Pfeil, gewidmet. Das Jagdhaus „Dambachhaus“ am Pfeildenkmal, an das das Gedicht „Das Jagdhäuschen auf dem Dambachhaus“ auf der Informationstafel erinnert, wurde später von Erich Honecker genutzt. (Quelle: http://www.harzer-wandernadel.de/home/stempelstellen_details.php?id=68, abgerufen am 20.05.2012)

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2 Antworten zu Sagenumwobenes Bodetal

  1. Jörmund sagt:

    Ein schön geschriebener Bericht, der mich ein wenig wehmütig werden läßt, da es schon die zweite Wanderbeschreibung am heutigen Tage ist, die ich lese und ich selbst, trotz des schönen Wetters, nicht hinaus ins Grüne kam. Außerdem erinnert mich dein Artikel daran, daß ich auch auf meinem Blog noch den dritten Teil meiner Wanderungen im Bodetal schuldig bin, der so ziemlich genau dieselben Pfade beschreibt. Die Tatsache, daß die Schurre abgerutscht ist, fanden wir auch sehr schade, da es der schönere Weg nach oben, auf die Roßtrappe ist.

    Liebe Grüße!
    Jörmund

  2. Wohl der schönste Bericht über den Harzer Hexenstieg. Wirklich super, sagt mir aber leider auch, wie schlecht meine sind ….

    Weiter so.

    Viele Grüße vom Hexenstieg-Start
    Stephan

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