Karstfahrt – Tag 3 – Von Questenberg bis Steigerthal


An der Queste

An der Queste

03.07.2012 – Der neue Morgen beginnt für mich schon sehr früh – um fünf Uhr morgens stehe ich bereits an der Queste, um dort den Sonnenaufgang zu erleben. Sehr spektakulär ist er leider nicht, der Himmel ist wolkenverhangen, nur am Horizont zeigt sich ein roter Hauch. Dennoch ist es schön, zwei Stunden hier oben ganz für mich allein zu haben, die Stille, das schlafende Dorf unter mir, nur ein paar Meisenrufe im Gezweig und hin und wieder ein bellender Hund. Der anbrechende Tag ist noch so rein, so unbelastet, auf eigenartige Weise ganz und echt. Man müßte nicht unbedingt an der Queste stehen, um das zu erleben, jeder etwas erhöhte Platz draußen in der Natur eignet sich dafür, den Tagesanbruch auf diese Weise zu erleben. Allmählich erwacht das Dorf, einzelne Autos fahren los, zur Arbeit wahrscheinlich. Der Mensch nimmt den Tag wieder in Besitz.

Ich gehe zurück zu unserem Lagerplatz, nach dem Frühstück steigen wir gemeinsam nochmals zur Queste, denn der Karstwanderweg führt an ihr vorbei und anschließend durch eine waldbestandene Hügellandschaft. Vom gestrigen Starkregen ist der Boden noch lehmig-schmieriger als schon zuvor, und beim nächsten steilen Abstieg habe ich leider Pech: ausgerutscht und genau auf das vor einigen Wochen lädierte Knie gefallen. An den kommenden Tagen ist nun leider die jeweils erste Gehstunde des Tages ein wenig schmerzgetrübt vom Einlaufen, und bei weiteren Abstiegen die Geduld der Mitwanderer gefragt, die sie dankenswerterweise auch aufbringen. Kurz vor Breitungen öffnet sich der Wald zu einem Aussichtspunkt auf den Episodischen See, auch bekannt unter dem Namen „Bauerngraben“, „Hungersee“ oder auch „Periodischer See“. Dieser See hat die Eigenart, sich die meiste Zeit als trockene Grasfläche zu präsentieren, sich dann aber in unregelmäßigen Abständen mit Wasser zu füllen, manchmal auch mehrere Wochen bis Monate am Stück unter Wasser zu liegen. Nach dem vielen Regen der letzten Tag hoffen wir auf Wasserfüllung, doch so ist es nicht: trocken liegt der See vor unseren Blicken. Dennoch kann man seine Lage in der Grasfläche erahnen, denn auf seiner Fläche steht anderer Bewuchs – so schimmert er in silbrigen Grüntönen aus dem Grün der umgebenden Grasflächen heraus.

In früheren Zeiten war es Brauch, daß das trockengefallene Ackerland vom Breitunger Pfarrer bewirtschaftet werden durfte, in wasserführendem Zustand die Fische jedoch der Gemeinde Roßla zustanden. Der Episodische See beinhaltet eine Bachschwinde: der Glasebach führt das meiste Wasser zu und verschwindet in trockenem Zustand im Seeboden. Zur Füllung des Beckens kommt es, wenn Schlucklöcher/ Ponore durch unlöslichen Schlamm zugeschwemmt werden; nicht nur der Glasebach trägt zur Füllung bei, sondern auch Grundwasser aus dem Breitunger Auslaugungstal. Durch Versuche mit Fluoreszenzfarbstoffen konnte man feststellen, daß sowohl das Wasser des Heckerlochs, einer Höhle in Questenberg, als auch die Wickeröder Hüttenquelle zwischen Questenberg und Wickerode mit dem Bauerngraben in Verbindung stehen, ebenso der Tiefe Breitunger Stollen, der dem Kupferabbau dienen sollte, letztlich aber durch Wassereinbrüche und langanhaltende Streitigkeiten über eine Umleitung des Glasebachs nicht weiter vorangetrieben werden konnte.

1936 verfiel man gar auf die skurrile Idee, das unter dem Bauerngraben befindliche Höhlen- und Schlottensystem als Schauhöhle für den Fremdenverkehr zu erschließen – man hoffte, bei intensiver Suche auf einen großen Höhlenraum zu stoßen. Dieser Versuch fiel jedoch im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser, als sich der See während der Bauarbeiten im Januar 1937 vollständig mit Wasser füllte.

Der Karstwanderweg verläuft um den Steilabbruch zum Seebecken herum, und auch in heutiger Zeit können noch frische Spaltenbildungen auftreten – so sind Teile des alten Wanderwegs in den vergangenen Jahren abgebrochen. Eine ausführliche Darstellung der historischen und aktuellen Forschungen, den Bauerngraben betreffend, findet sich hier oder auch hier.

Offenbar sind unsere Rucksäcke nicht schwer genug, einen Wegabbruch zu verursachen, und so verlassen wir das Gebiet um den Episodischen See unbeschadet. Auch das zugehörige Wegstück bleibt unverändert und stabil hinter uns zurück. Wasser sehen wir vom Hang aus dennoch, wenn auch fern am Horizont liegen: dort schimmert die Talsperre Kelbra zu uns herüber. Durch eine abwechslungsreiche Wald- und Wiesenlandschaft setzen wir unseren Weg fort, am Wegesrand stehen früchtetragende Kirschbäume, und in der warmen Sommersonne lassen sich eine Vielzahl an Schmetterlingen betrachten. Mir als botanisch Interessierter eröffnet sich noch eine besondere Freude: das erste Mal in meinem bisherigen Leben sehe ich die Dornige Hauhechel (Ononis spinosa) am Naturstandort stehen – und blühen.

Pappelallee vor Uftrungen

Pappelallee vor Uftrungen

Kurz vor Uftrungen wandern wir durch eine Fußgänger-Pappelallee, vorbei an einigen alten LPGs, die auch heute einer landwirtschaftlichen Funktion zugeordnet sind, kommen wir ins Dorf hinein und finden bald nette Menschen, die unsere Wasservorräte auffüllen. Nachdem wir den Sportplatz passiert haben, geht es über die Bahngleise , vorbei an der Gaststätte Thyrafuchs über die Thyra und an ihr entlang, zunächst auf Asphalt, dann über frischgemähte Wiesen und schließlich – endlich! – wieder im Schatten einen waldigen Pfad entlang bis zur Heimkehle. Hier beschließen wir, nicht die große Schauhöhle zu besichtigen – obwohl sich ein Besuch sicherlich gelohnt hätte – sondern uns stattdessen den Freuden des Lebens in einem ordentlichen Einkehrschwung hinzugeben. Nach einer langen Pause gehen – vielleicht sollte man besser aber rollen sagen – wir weiter in den Wald hinein, immer geradeaus, bis wir unverfehlbar vor einem Hotel im Wald stehen – der Knauff Kalkhütte. Trotz des vornehmen Charakters können wir hier erneut unsere Wasservorräte auffüllen, auch wenn die schmutzig-lehmigen Stiefel ein peinliches Gefühl der Ungehörigkeit an diesem Ort erzeugen und sicherlich höchst erstaunte Blicke auf uns fallen. Immer weiter führt uns der Waldweg Richtung Steigerthal, bis wir uns kurz vor Steigerthal zum Nachtlager nieder- und uns wiederum von Harzsagen verzaubern lassen.

Blick auf den Bauerngraben

Blick auf den Bauerngraben

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