Vogelwanderung an den Ismaninger Speichersee

Rotkehlchen - Erithacus rubecula

Rotkehlchen – Erithacus rubecula

12.04.2013: Schön ist es auf alle Fälle, zum Wandern einmal direkt von der Haustür weg losgehen zu können. Nach zehn Minuten durch Münchner Straßen erreiche ich den kleinen Park, der sich westlich an das Gelände des Bayerischen Rundfunks anschließt. Die Morgensonne scheint; auf noch immer kahlen Bäumen suchen Blau- und Kohlmeisen nach Nahrung und lassen ihre Frühlingsrufe zur Revierabgrenzung erschallen. Über eine Wiese führt ein Pfad zu einer Holzbrücke über den Schwabinger Bach direkt neben dem Rundfunksgelände; im Gebüsch sehe ich einen Zaunkönig umherhüpfen und lausche eine Zeitlang seinem lauten, melodischen Gesang.

Durch die schon sichtbare Eisenbahnunterführung geht es weiter; direkt danach führt mich mein Weg nach links Richtung Isar. Hier blühen die ersten Veilchen, die Krokusse sind bereits verblüht. Einer kleinen Betonserpentine folgend, betrete ich den Föhringer Ring und gehe auf dieser Autobrücke über die Isar. Auf der anderen Seite angekommen, führt eine Holztreppe hinab zum Mittleren Isarkanal, eine weitere vom Dammweg am Kanal hinab zu einer Schotterstraße, die die Isar parallel begleitet. Ich entscheide mich dafür, oben auf dem Dammweg am Isarkanal zu bleiben.

An dieser Stelle sollte hinzugefügt werden, dass diese Wanderung nur dann interessant ist, wenn man sich für Vogelbeobachtung interessiert. Der Weg an sich ist nicht spannend; schnurgerade folgt er dem Damm am Kanal und später dem Speicherseedamm. Aber so weit bin ich noch lange nicht.

Ich habe beste Laune an diesem Samstagmorgen, ein ganzer entspannender Tag draußen in der Natur liegt vor mir, und endlich einmal scheint die Sonne nach dem langen, dunklen, vorangegangenen Winter. Bald taucht ein weißer Fleck im Wasser des Kanals auf, der meine Aufmerksamkeit auf sich zieht: kein Gegenstand, der hier treibt, sondern ein Erpel der Schellente mit seinem konstrastreichen, schwarz-weiß gezeichneten Gefieder und dem charakteristischen weißen Gefiederfleck in unmittelbarer Nähe der Schnabelbasis, vervollständigt durch ein leuchtend gelbes Auge. Ich schaue genauer hin, und richtig: unweit des Erpels ist auch eine weibliche Schellente zu beobachten, mit grauem Körper- und braunem Kopf- und Halsgefieder.

Erpel der Schellente - Bucephala clangula

Erpel der Schellente – Bucephala clangula

Ich weiß nicht, welche Zeichnung ich faszinierender finde: die scharf begrenzte Schwarz-Weiß-Zeichnung des Erpels oder das faszinierend eisblaue Auge der weiblichen Schellente, umsäumt vom samtig-schokoladenbraunen Kopfgefieder. Stundenlang könnte ich diesen Enten zuschauen, sie begeistern mich mehr als jede andere hier vorkommende Entenart. Heute erlebe ich ein besonderes Schauspiel: die Balz des Schellentenerpels. Beide Partner tunken immer wieder ihren Schnabel ins Wasser ein, dann vollführt der Erpel eine groteske Bewegung: ruckartig wirft er seinen Kopf zurück in den Nacken, bis er auf dem Rücken aufliegt, blickt in den Himmel und läßt bei leicht geöffnetem Schnabel ein leises, aber deutlich hörbares Schnarren (nicht in allen Aufnahmen) ertönen. Es sieht sehr sonderbar aus, was der Erpel da macht; nicht umsonst fallen einem automatisch zentralnervöse Störungen ein oder auch die Wortverbindung „sterbender Schwan“. Aber es ist ein ganz natürliches Verhalten – ein spannendes Beispiel für die Vielfalt der Natur.

Weiter gehe ich den Dammweg entlang. Im Ufergebüsch erklingt eine melancholische Liedstrophe, und bald habe ich den Sänger ausgemacht: ein Rotkehlchen. Aus großen runden schwarzen Augen schaut es auf mich herunter, läßt sich durch meine Anwesenheit nicht in seinem Gesang stören. Das Rotkehlchen ist interessanterweise eine der wenigen heimischen Singvogelarten, bei denen beide Geschlechter singen.

Auf dem Isarkanal entdecke ich hin und wieder kleinere oder auch größere Trupps von Reiherenten, die sich auch durch ein eigenartiges Trillern hörbar bemerkbar machen; nach einer knappen Stunde bin ich kurz vor der nächsten Siedlung, einem Zipfel von Unterföhrung, und kann nach links auf den Poschinger Weiher blicken. Weit unter dem Damm liegt er da; durchs Fernglas entdecke ich hier Graugänse, Bleßhühner und Schnatterenten, dann erreiche ich die Siedlung. Hier gehe ich zwischen Isar und Gartengebüschen entlang, bis ich die Münchner Straße erreiche und quere.

Nun folgt ein weniger schönes Wegstück: über die Bauhofstraße führt mich der Weg auf Asphalt, vorbei an Feldern und verschiedenen Wirtschafts- sowie wenigen Wohngebäuden hinweg über Eisenbahngleise und unter der Autobahn hindurch. In Bäumen am Wegrand schnarren Wacholderdrosseln. Auf der anderen Seite der Autobahnunterführung angekommen, geht es jetzt wieder nach rechts zurück auf den Dammweg am Isarkanal. Im Ufergebüsch hüpfen zahlreiche Meisen, Buchfinken und Goldammern umher, singen die Mönchsgrasmücke und der Zilpzalp, über der Wasserfläche des Kanals fliegen Rauchschwalben. Aber eine Vogelart fehlt in dieser Frühlingswelt: der Grünfink. Ob die Ursache das Grünfinksterben durch Trichomoniasis ist? (1)

Schwarzkehlchen - Saxicola rubicola

Schwarzkehlchen – Saxicola rubicola

Hin und wieder sehe ich erneut Trupps von Reiherenten, einzelne Stockentenpaare sowie Schellenten, letztere mitunter an Reiherententrupps angegliedert. So führt mich der Weg immer weiter geradeaus bis zu einem kleinen Stauwerk. Und hier mache ich eine faszinierende Entdeckung: auf den hier ausgespannten Drähten sitzt ein Schwarzkehlchen! Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben ein Schwarzkehlchen „in echt“ gesehen und bin jetzt ganz aus dem Häuschen. Lange beobachte ich es, wie es in kurzen Flügen Insekten erhascht und mal hier, mal dort zur Landung kommt.

An dieser Stelle muß ich den Dammweg verlassen und das Stauwerk, immer entlang des Maschendrahtzauns, umgehen, um auf der anderen Seite wieder auf den Dammweg zurückzukehren. Jetzt endlich bin ich am Ismaninger Speichersee angelegt. Der Speichersee wurde 1929 künstlich geschaffen und dient als Kopfspeicher für die Regulierung von insgesamt fünf am Isarkanal gelegenen Wasserkraftwerken. Als Lebensraum für zahlreiche Vogelarten sowie bedeutende Raststätte während des Vogelzugs ist der Speichersee mit den dazugehörigen Fischteichen südlich des Sees seit 1976 „Feuchtgebiet internationaler Bedeutung“ nach der Ramsauer Konvention von 1971 und gehört heute zum europäischen Biotopverbund Natura 2000. Wer mehr wissen möchte, findet Informationen auf einer Speichersee-Sonderseite des Landesbunds für Vogelschutz.

Der Weg bekommt nun einen etwas anderen Charakter, da er nun beidseitig von Ufergebüsch umsäumt wird, das sich immer wieder zu Ausblicken auf den See öffnet. Zunächst noch hat der See Buchtcharakter; wiederum beobachte ich Reiher-, Stock- und Schellenten sowie Bleßhühner; auf einem abgestorbenen Baumstamm schläft ein männlicher Gänsesäger, sitzt ein Kormoran trocknend mit ausgespannten Flügeln in der Sonne. Bachstelzen fliegen umher, und ein eigenartiger, etwa starengroßer Vogel, den ich nicht kenne, fliegt mit zickzackartiger Flugbahn und gellendem, wiederholtem Ruf über meinen Kopf hinweg – eine Limikole?

Dann öffnet sich der See ganz, mit deutlichem Wellengang liegt er vor mir wie ein kleines Meer im Landesinneren. Das seeseitige Ufergebüsch geht zurück, so daß der Blick auf den See nun völlig frei ist. In Ufernähe schwimmen Höckerschwäne, Graugänse, Stock- und Schellentenpaare sowie unzählige Reiher- und Tafelenten, die lustig in die Wellen hinabtauchen und wie Korken zurück an die Oberfläche treiben. Bleßhühner lassen ihren metallischen Ruf erschallen, und mit dem Ferngals sehe ich weit draußen auf dem See Hunderte von Lachmöwen auf den Wellen schaukeln. Hin und wieder entdecke ich auch einzelne Zwergtaucher zwischen den ufernahen Entenvögeln.

Erpel der Tafelente - Aythya ferina

Erpel der Tafelente – Aythya ferina

Immer weiter führt mich der Weg geradeaus am See entlang, dann passiere ich ein Gittertor. Der Weiterweg ist nur an Wochenenden begehbar, denn hinter dem seefernen Gebüschstreifen liegt ein BMW-Testgelände, das während der Betriebszeiten nicht von Fremdpublikum eingesehen werden soll. In der Ferne sehe ich nach einiger Zeit den – befahrbaren – Mitteldamm des Speichersees vor mir liegen, der mitten durch den See führt und West- und Ostbecken voneinander trennt. Nach einer Stunde (seit dem Gittertor) habe ich den Damm fast erreicht, da zieht ein dunkler, fast schwarzer Vogel zwischen den allgegenwärtigen Reiher- und Tafelenten meine Blicke auf sich: die Kopfform ist spitzer zulaufend, er liegt anders auf dem Wasser als die Entenvögel. Ein Blick durchs Fernglas bringt Klarheit: es handelt sich um einen Schwarzhalstaucher! Wieder packt mich die Faszination, denn auch diese Vogelart habe ich in meinem Leben noch nie zuvor außerhalb von Büchern gesehen! Als ich weitergehe, entdecke ich noch zwei weitere, einzeln schwimmende Schwarzhalstaucher, dann passiere ich erneut ein Gittertor und habe nun das Nordende des Mitteldamms erreicht.

Schwarzhalstaucher - Podiceps nigricollis

Schwarzhalstaucher – Podiceps nigricollis

Haubentaucher - Podiceps cristatus

Haubentaucher – Podiceps cristatus

Allerdings betrete ich den Mitteldamm nicht, sondern gehe weiter am Nordufer des Speichersees entlang, diesmal entlang des Ostbeckens. Der Uferstreifen ist nicht bewachsen, einzelne Bänke bieten Spaziergängern Rastmöglichkeiten. Die Vogelwelt bringt mir hier keine größeren Besonderheiten entgegen, ich sehe wieder unzählige Reiherenten, Bleßhühner und draußen auf dem See einen Trupp Höckerschwäne. Kurz vor dem großen Stauwerk am Ende des Sees nimmt die Vogelvielfalt wieder zu – auch zwei Haubentaucher kann ich jetzt auf dem See entdecken, die sich lange Zeit hartnäckig meiner Kamera entziehen. Am Speicherkraftwerk angekommen, muß ich leider den See verlassen, in diesem Bereich gehört alles zum EON-Firmengelände.

Schafstelze - Motacilla flava

Schafstelze – Motacilla flava

Über die Seestraße umrunde ich in der Ortschaft Neufinsing das Stauwerk, biege dann ein auf die Münchner Straße und erreiche, von der Münchern Straße nach rechts abbiegend, über den Weg Neubruch wieder Seenähe. Leider gelangt man hier nicht mehr zurück auf den Speicherseedamm, denn zwischen Damm und Weg liegt ein Kanal, über den keine Brücke führt und der zu breit ist, um hinüberzuspringen. Ein wenig enttäuscht gehe ich den Feldweg in westlicher Richtung entlang, zu allem Überfluß beginnt es jetzt auch noch, stark zu regnen, kombiniert mit heftigem Wind. Sonst habe ich immer ein Regencape dabei, heute jedoch ausgerechnet nicht – um die Kamera besser schützen zu können, hatte ich mich für einen Schirm entschieden, heute bei dem Wind extrem unpraktisch. Er erfüllt seinen Zweck, gegen den Wind gehalten, zumindest die Kamera betreffend, mich selbst schützt er nur partiell vor dem Regen. Meine Stimmung ist eindeutig im Sinken begriffen, aber bald werde ich erneut durch spannende Vogelbeobachtungen entschädigt: über den frisch gepflügten Ackerflächen links des Wegs steigen Kiebitze mit ihrem eigenartigen, klagenden „Komm-mit““-Ruf (nicht in allen Aufnahmen) zum Balzflug auf. Noch faszinierender: auf dem dunklen Ackerboden trippeln zahlreiche zitronengelbe Schafstelzen umher und suchen nach Insekten. Schafstelzen konnte ich ebenfalls noch nie zuvor in meinem Leben beobachten und bin erneut ganz beglückt. Im Gebüsch am Wegesrand singt melodisch ein kleiner grauer Vogel. Der Gesang ähnelt dem der Möchsgrasmücke, ist aber nicht identisch und für mich hörbar abweichend. Ich schaue genauer hin: es ist eine Dorngrasmücke, die hier singt, und somit wieder eine Besonderheit, denn ihr Bestand nimmt leider hierzulande immer weiter ab.

Dorngrasmuecke - Sylvia communis

Dorngrasmücke – Sylvia communis

Dann komme ich wieder am Mitteldamm an, diesmal an dessen Südufer. Zwar stehen noch dunkle Wolken am Horizont und über dem See, aber der Regen hat aufgehört, und so ergeben sich faszinierende Spiele aus Licht und Wolken, die von der Sonne durchbrochen werden und als Strahlen auf der Seefläche reflektieren. Leider sind die Fischteiche entlang des Südufers des Westbeckens – ornithologisch besonders interessant – für die Öffentlichkeit gesperrt und können nur auf Führungen der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern erkundet werden. Die Fischteiche wurden einst mit mechanisch gereinigtem Klärwasser der Stadt München gespeist und dienten so der Karpfenhaltung ohne Beifütterung. Dieses „Abwasser-Fischteich-Verfahren“ endete im Jahr 2000, als sich die Reinigungsleistung der Kläranlagen drastisch verbesserte (2). Eine interessante Beobachtungsstelle ist aber der Süddamm des Ostbeckens, der von hier aus – also vom Südende des Mitteldamms – bis zum seinem Ende am Neufinsinger Speicherkraftwerk begangen werden kann (Länge ca. 3 km, Achtung Sackgasse!). Da ich noch einen weiten Rückweg vor mir habe, verzichte ich auf diese spannende Möglichkeit und verschiebe dessen Begehung auf einen eventuellen späteren Fahrradausflug.

Nun begehe ich den Mitteldamm und wandere auf ihm zurück zum Nordufer des Sees. Leider ist er beidseitig mit dichtem Gebüsch bestanden und erlaubt nur hin und wieder einmal einen freien Blick auf das West- oder Ostbecken. Insbesondere im Ostbecken entdecke ich wieder die obligatorischen Bleßhühner, Reiher- und Tafelenten, darüber hinaus drei Haubentaucher, einige Höckerschwäne sowie für heute erstmals auch Kolbenentenpaare. Am Nordende des Mitteldamms bringt der Blick auf das Ostbecken auch eine Sichtung von zwei Knäkentenpaaren, die leider als sehr scheue Vögel bald auffliegen und sich meiner Beobachtung entziehen.

Knaekenten - Anas querquedula

Knäkenten – Anas querquedula

Von nun an ist der Rückweg identisch zum Hinweg, wieder geht es an der BMW-Teststrecke vorbei, wieder habe ich drei Sichtungen von Schwarzhalstauchern. Dann passiert etwas Beeindruckendes: plötzlich fliegen sämtliche ufernahen Entenvögel und Bleßhühner panikartig auf und fliegen ein gutes Stück nach Westen. Was war die Ursache? Ich schaue umher und entdecke eine übergroße Möwe, die hier über den See dahinstreicht – eine der Mittelmeermöwen, die hier den See besiedeln und unter Entenvögeln Angst und Schrecken verbreiten.

Erpel der Krickente - Anas crecca

Erpel der Krickente – Anas crecca

Kurz vor dem Stauwerk am Westende des Sees schaut mich frech aus dem Gebüsch heraus eine Schwanzmeise an – es ist die weißköpfige Variante. Nach der Umgehung des Stauwerks, wieder am Zaun entlang, bin ich erneut am Mittleren Isarkanal angelangt. Der Weg bis zur Autobahnunterführung bringt noch einige Spannung mit sich: am gegenüberliegenden Ufer entdecke ich mehrfach Krick- und Knäkentenpaare, zweimal Löffelentenpaare, einmal ein Schatterentenpaar. Alle dieser Enten verhalten sich jedoch sehr scheu und fliegen bald auf, sobald sich ein Fernglas auf sie richtet oder sie Blicke auf sich wahrnehmen. Zwölf Stunden nach meinem morgendlichen Aufbruch komme ich, noch erfüllt von all diesen spannenden Beobachtungserlebnissen, müde und zufrieden zu Hause an. Es hat sich gelohnt!

Ismaninger Speichersee

Ismaninger Speichersee

(1) http://www.vet-magazin.at/tierarzt-magazin/aktuelle-meldungen/Gruenfinken-Sterben-Trichomoniasis.html, abgerufen am 17.05.2013
(2) Infotafel am Speichersee

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