Wind an der Elbe

Blume mit blauen Blüten und weißem Stern im ZentrumDie Elbauen bei Hohenwarthe sind ein ganz besonderes Stück Erde. Während um Magdeburg die Elbauen besonders am Wochenende sehr überlaufen sind, findet man hier die Ruhe, die man sucht, um Gedanken nachzuhängen, die Seele auszuruhen, turbulente innere Lagen zu befrieden.

Sie liegen so unendlich schön und friedlich ruhig im Abendlicht, die weiten Wiesen im Wind flutend wie ein kleines grünes Meer. Kein Autolärm dringt hierher, keine von Menschen erzeugten Geräusche. Der Weg an der Elbe ist nicht asphaltiert, nur ein Grasweg, eine freigemähte Spur in den Wiesen. Ruhig zieht auch die Elbe nebenher nach Norden. Ab und zu steigt eine Lerche in den Himmel und fügt ihr Lied ein in die Stille der Natur, selbst jetzt im Sommer. Kleine Singvögel schlüpfen in den Weidenbüschen hin und her, ein Buchfink flattert vor mir her über den Weg. Man kann hier nicht sehr weit gehen, nur eine Stunde bis zum kleinen Leuchtturm an der Einmündung eines Kanals. Aber es sind doch zwei Stunden überwältigenden Friedens. Der Blick über die Weiten beinhaltet die Sehnsucht, sich nur noch in solchen Landschaften aufzuhalten, mit dem Wind um die Wette zu rennen oder mit den Möwen zu fliegen, die über die Elbe ziehen. Sich ins wogende Gras zu legen und in den Himmel zu schauen, die Wolken ziehen zu sehen, nichts anderes im Kopf als die Freiheit, die ein unendlich scheinender freier Blick erzeugt.
Sehnsucht nach Freiheit und Ursprünglichkeit, nach einem Leben ohne die Hektik, die ein immer rasenderes Wirtschaftsleben von uns einfordert und nach und nach unsere Seelen zerstört.

Denn auf dem Hinweg passen die Gedanken noch nicht zu der Landschaft, immer wieder wird der davon ausgehende Friede unterbrochen von Fetzen, die an anderes erinnern: das Gefühl von Abgespanntsein durch sehr viel Arbeit, individuelle Enttäuschung und Bitterkeit, noch längst nicht vollständig verarbeitet, über Täuschung, Doppelmoral und Fallengelassenwerden, die Frage nach dem „Wohin nun“.
Aber auch Gedanken an Dinge, die sich in der Welt abspielen. Das Massaker von Norwegen. Was bewegt einen Menschen, in ein fröhliches Ferienlager von Jugendlichen einzudringen und einen Massenmord unter Kindern anzurichten? Wie harmlos sind Worte, von anderen ins Netz geschrieben, wirklich? Doch nicht nur Spielerei, Bierlaune, sondern ernstzunehmende, unterschätzte Gefahr?

Es ist, als führe die Landschaft einen sanften Kampf gegen die Gedanken aus, die ihren Frieden immer wieder durchbrechen. Der Wind weht über die Haut und beruhigt, alle Sinne werden eingebunden in diese Weite. Am Horizont weiden Schafe. Von ferne bellt ein Schäferhund, als er mich einsame Wanderin entdeckt. Vorne, am Waldrand, hörte man im Frühjahr die Rufe des Pirols, für mich ungewohnt und neu, denn ich habe noch nie nahe an einer Landschaft gewohnt, in der der Pirol sein Zuhause fand. Jetzt, im Sommer, ist der Waldrand still. Es blüht Ehrenpreis und eine seltsame, blaulila Blume, die ich nicht kenne, mit einem weißen Stern in der Mitte. Der Weißdorn hat Früchte angesetzt. Die Früchte der Felsenkirsche sind schon reif, glänzen blauschwarz im Abendlicht. Ein letzter Blick an der Spitze der Landzunge, die in die Kanalmündung reicht, dann geht es wieder zurück.

Es tut gut, an der Elbe zu sitzen, die Gedanken vom Wind verwehen zu lassen, mitnehmen zu lassen vom Wasser, das ruhig nach Norden fließt. Der Wind weht stärker, die Wolken ziehen, Formationen von Strahlen brechen durch sie hindurch und tauchen die Welt in einen Fächer aus Licht. Ein Kormoran fliegt vorbei. Möwen ziehen vor der Sonne her.

Als ich aufstehe und zurückgehe, sind die Gedanken verweht, füllt mich Friede und Zuversicht. Die Welt ist schön! Und vielleicht sollten viel mehr Menschen viel öfter ein wenig Zeit finden, Naturstille auf sich wirken zu lassen – um Frieden für sich selbst zurückzugewinnen.

Elbauen bei Hohenwarthe

Elbauen bei Hohenwarthe

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