Brockenwanderung

Auf dem Brocken
Bad Harzburg – Molkenhaus – Eckerstausee – Scharfenstein – Brocken – Richtung Torfhaus – Kaiserweg – Molkenhaus – Bad Harzburg

 
Diese knapp 30 km lange Wanderung bin ich schon so häufig gegangen, daß ich mittlerweile die genaue Zahl nicht mehr kenne. Es ist eine Wanderung, die mich immer wieder anzieht, und jedes Mal ist sie anders: andere Menschen, die mit mir gehen, häufig auch im Alleingang begangen, bei unterschiedlichen Wetterlagen, in unterschiedlichen Jahreszeiten.
Die „Bummelallee“ in Bad Harzburg geht es hinauf, vorbei an diversen Läden, Cafés, Restaurants, vorbei auch am Minigolfplatz und am „Haus der Natur“. Erinnerung an Kinderzeiten, zu denen das „Haus der Natur“ noch nahezu sämtlichen einheimischen Tiere in einer Kulisse, dem jeweiligen Lebensraum nachempfunden, ausgestopft präsentierte – Erinnerung an die vielen Stunden, die ich damals mit der „anderen Oma“ dort verbrachte, fasziniert von den Tieren, deren Aussehen ich mir einprägte und die ich vielmals noch nie gesehen hatte. Damals konnte man viele bunte Knöpfe drücken, und das jeweilige Tier wurde vom Scheinwerferlicht beleuchtet. Sogar die Tierstimmen waren zu hören und erlernbar. Heute sind die alten kleinen Räume einem modernen Großraum gewichen, ausgestopfte Tiere findet man dort fast nicht mehr, hauptsächlich modern gestaltete „Lerntafeln“, moderne Arrangements, viel Text über Naturschutzsünden und ähnliches. Auf mich wirkt es heute unterkühlt, nüchtern und langweilig, wie es auf Kinder heute wirkt, vermag ich nicht zu beurteilen. Weiter führt mich der Weg über die Brücke an der Talstation der Gondel vorbei am Märchenwald, der nochmals an Kinderzeiten erinnert. Die ruhige Wiese dahinter ist einem Hochseilgarten gewichen, der automatisch Assoziationen an Menschenaffengehege in Zoos auslöst – und angesichts der aufgefächerten „Brot- und Spielwelt“, die heute über die tieferen Dinge hinwegrieselt und in Menschen Geist, Kultur und Tiefgang auslöscht, ist die Assoziation wohl auch nicht so falsch.

 
Jetzt habe ich den Ort hinter mir gelassen,  am Bach entlang führt ein Waldweg nur wenig ansteigend aufwärts. Links lasse ich die Sennhütte neben mir liegen, dann wird der Weg allmählich steiler, und ich merke, wie viel Kondition mich die vergangenen anderthalb Jahre mit ihren anderen Schwierigkeiten gekostet haben. Nichtsdestotrotz tut es gut, sich anzustrengen, ein wenig „Berggefühl“ zu haben – die Berge sind neben der Stabi das einzige, was ich an München seit meinem Umzug vermisse. Dann ist der erste Anstieg überwunden, eben geht es auf breitem Weg vorbei an der Waldgaststätte „Molkenhaus“ (eine empfehlenswerte Einkehr, nur ist es dazu noch zu früh). Vorbei am Waldspielplatz, der „damals“, zu Kinderzeiten, noch eine spannende, riesige Holzburg bot, die leider nach ihrem Verfall nicht mehr aufgebaut und durch sicherheitsgenormte, verhältnismäßig langweilige Aufbauten ersetzt wurde.Wiese beim Molkenhaus
Wenige Meter später zweigt der Weg nach links ab, eines der schönsten Teilstücke dieser Wanderung. Er führt nun als schmaler Pfad über eine Waldwiese, die den Blick weitet und auf die gegenüberliegenden Harzhänge öffnet – besonders schön im Herbst mit seiner bunten Farbenpracht aus eingestreuten Laubbäumen und Lärchen, aber auch im Frühjahr direkt nach Laubaustrieb, wenn sich das Dunkelgrün der Fichten und das Lichtgrün der noch jungen Blätter und Lärchennadeln mischen. Es ist schön, daß gerade hier, wo alles zum Verweilen einlädt, zwei Bänke auf der Wiese stehen, von denen aus man die Stille, den Blick und die Landschaft genießen kann.

 
Dann geht es weiter zum Waldrand und steil auf schmalem und bei Regenwetter ein wenig rutschigem Pfad hinunter zum Tal der Ecker, wo ein nun wieder breiterer Weg durch Bannwald und Klippen nach rechts zur Eckertalsperre führt. Auch dieser Abschnitt ist wunderschön, ein wildromantisches Tal, im Winter hängen bizarre Eisformationen an den Steinen. Jetzt aber ist Sommer, und es ist wunderbar kühl. Im EckertalKurz vor der Eckertalsperre führt der Weg wieder steil, aber gut befestigt und mit Treppen versehen, hinauf in den Wald. Nach einer Linkswende ist der Eckerstausee erreicht, früher ging hier die Grenze zwischen DDR und BRD mitten hindurch. Der See ist jedes Mal ein wenig anders, immer aber geht eine eigenartige düstere, faszinierend-abweisende Stimmung von ihm aus, mit seinem dunklen Wasser, das eigenartige Lichtspiele spielt und immer wieder gänzlich schwarze, wellenlose Areale aufweist, so, als sei dort noch mehr als nur Wasser. Durch düsteres Wetter verstärkt, wirkt er wie ein Tor zur Anderswelt vor dem Brocken, über den die Herbststürme wehen. Heute aber liegt der See verhältnismäßig friedlich in der strahlenden Sonne, er führt nicht allzu viel Wasser, die Ufer sind mit rötlichem Gras bewachsen, das mit seiner Dunkelheit interessante Kontraste bildet. Und jedesmal wieder, zieht auch diesmal ein Strahlenvogelschwarm aus Licht über die Wellen zu mir hin, als sende mir der See einen Gruß. Oft schon bin ich eine ganze Stunde an seinem Ufer gestanden und habe auf das Wasser geschaut, die wechselnden Muster fasziniert betrachtend, die Atmosphäre halb abstoßend, halb anziehend. Zwei Dörfer mußten dem See weichen, wurden überflutet, als er entstand. Es geht die Sage, bei niedrigem Wasserstand werde in der Mitte des Sees eine Kirchturmspitze sichtbar. Ob es wohl daran liegt, daß der See eine so sonderbare Ausstrahlung besitzt? Heute aber will ich schneller vorwärts kommen und lasse mich vom See nicht einfangen.
 
Blick von der Staumauer auf den Eckerstausee

Über die Staumauer führt der Weg am Waldrand entlang, vorbei an blühendem Heidekraut, an Birken und immer wieder eingestreuten Ausblicken auf den See.Irgendwann biegt der Weg scharf nach links ab, Richtung Brocken und Scharfenstein. Ein kleiner Anstieg durch den Wald und an Wiesen vorbei, auch an einer kleinen Ruine, dann beginnt – gegenüber der Raststätte am Scharfenstein – der Panzerplattenweg auf den Brocken. Ab nun folge ich dem Heinrich-Heine-Weg, der in Ilsenburg beginnt, und der die Anstrengung durch Tafeln auflockert, auf denen Heine-Zitate von dessen Brockenwanderung berichten. Sie bieten willkommene Punkte des Haltmachens, Zurückblickens und der Trinkpausen…

 
Der Panzerplattenweg führt zunächst durch den Wald, dann tritt der Wald zurück und die Moorlandschaft nimmt zu, mit vom Wetter verkrüppelten Fichten, Steinlandschaft, Moorgräsern und eingestreuten, gelben Blumen, deren Artbezeichnung ich nicht kenne, obwohl sie mich schon oft am Wegesrand begleitet haben.blühendes Heidekraut Immer weiter führt der Weg bergauf, bei Sonnenschein ist es gut, jetzt eine Kopfbedeckung zu tragen, um die Sonneneinstrahlung ein wenig zu vermindern. Blicke zurück lassen die ganze Harzlandschaft vor den Augen erstrahlen, der Eckerstausee liegt dort unten wie ein Auge im Wald. Dann sieht man schon die Aufbauten des Brockens vor einem liegen, jetzt ist es nicht mehr weit, die größten Steigungen sind überwunden. Oben angekommen, ist es fast immer empfehlenswert, noch einen Pullover oder eine Jacke draufzuziehen, denn dort oben ist es immer um einige Grade kühler als weiter unten, dazu weht hier oben immer der Wind, meistens sogar sehr stark. Heute bleibt es zumindest sonnig, kein Nebel, kein Regen- oder Graupelschauer trübt die Sicht, auch die Luft ist klar. So eine gute Fernsicht habe ich hier oben noch nie erlebt, so daß ich mich entschließe, auch die Brockenrundwanderung noch zu gehen – ein Weg, der um die Brockenkuppe herumführt.  Weit liegt der Harz vor meinen Augen, die Sprungschanze auf dem Wurmberg wirkt unglaublich verletzlich und filigran, als schwebe sie direkt im Himmel und habe jeden festen Kontakt zur Erde verloren. Kaum vorstellbar, daß dieses Gebilde auch Herbst- und Winterstürme überstehen sollte.
 
Blick vom Brockenanstieg auf den Harz

 
Der Rückweg führt auf breiten, guten, neu ausgestalteten Wegen zurück Richtung Torfhaus. Und hier geschieht noch etwas, das man nicht auf allen Brockenwanderungen erwarten kann: ein Rascheln, ein Knacken im Gebüsch, und ein riesiger, kapitaler Rothirsch überquert den Wanderweg in großen Sätzen! Nur ein kurzer Moment, dann ist das gewaltige Tier wieder in den Wäldern verschwunden, und der Weg führt mich weiter bergab. Der Zustand des Waldes am Quitschenberg erscheint mir tendenziell eher wieder schlechter als noch vor einigen Jahren, die Flächen abgestorbener Bäume werden wieder größer. Dieses Jahr wird auch das erste Mal seit vielen Jahren im Harz wieder Kalk abgeworfen, um die Bodenqualität zu verbessern und der Übersäuerung entgegenzuwirken. Ich folge nun dem Kaiserweg, auf dem sich breite Wege und schmale, steinige oder grasige Waldpfade mischen. Dieser Teil der Wanderung ist nur noch Strecke gewinnen, die Beine haben sich eingelaufen, man ist in einem Zustand, in dem das Gehen automatisch voranführt. Die Landschaft ist nicht mehr so spektakulär wie in den vorausgehenden Stunden, jetzt ist die Zeit, Gedanken nachzuhängen und die Landschaft zurücktreten zu lassen. Immer weiter führt der Weg durch den Wald, und irgendwann steht man wieder an der Kreuzung, an dem vor vielen Stunden ein Grasweg über die Wiese führte. Vorbei am Molkenhaus geht es wieder bergab nach Bad Harzburg, den Weg kann man sich nun unter mehreren wählen, je nach Lust und Laune. Ich wähle Asphalt, denn müdegelaufen kommt man ohne Gepäck dort am schnellsten voran. Doch dann lockt mich doch noch ein schmaler Weg über einen kleinen Höhenrücken und über Serpentinen hinab auf Waldboden. Müde, aber zufrieden komme ich am Märchenwald vorbei wieder zurück auf die Bummelallee. Ein wunderbarer Wandertag ist vorüber.
 
Muffelwild in Bad Harzburg

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