Rund um den Eckerstausee

Stockente im Abendlicht09.06.2012: Drei Uhr nachmittags ist es schon, als ich in Bad Harzburg losgehe. Viel zu spät eigentlich für die Runde um den Eckerstausee, die vor mir liegt, viel zu spät insbesondere mit meinem auf Arbeit lädierten Knie, in das vor wenigen Wochen ein Tier schwungvollerweise hineingerannt war. Trotzdem: ich muß raus, unbedingt, mir fällt die Decke auf den Kopf, wenn ich längere Zeit nicht in die Natur hinauskomme. Und so gehe ich los, obwohl es schon Nachmittag ist, genieße den Aufstieg durch den Buchenwald bis zum Molkenhaus. Die Ährige Teufelkralle blüht am Wegrand, junge Buchen, die ersten „adulten“ Blätter schon nach den Keimblättern entfaltend, säumen den Pfad mit frischem Grün. Am Molkenhaus herrscht reger Betrieb, erst auf der darauf folgenden Waldwiese wird es ruhiger. Diese Wiese, die Weite des Blicks über die Harzwälder, die weite Grasflut vor mir, berührt mich jedes Mal aufs Neue tief im Inneren. Nur hier zu sitzen und zu schauen, nur ruhig zu sein und den Wind zu spüren, birgt genug Seelenheil für all den kommenden Arbeitsalltag. Rosa Flecken im Gras markieren den Standort der bizarren Kuckuckslichtnelke, die hier gehäuft zu finden ist. Auch andere Blumen blühen zahlreich, Schafgarbe und Wilde Möhre, Hahnenfuß und Ehrenpreis, selbst die hübschen lilafarbenen Gesichter der wilden Stiefmütterchen mit ihren gelben Mündern.

Wildes StiefmütterchenHinab führt der Weg, wieder in den Wald hinein und in das schattige Tal der Ecker, die einst Grenzfluß zwischen Ost und West gewesen ist. Dort angekommen, geht es beinahe eben nach rechts Richtung Staumauer. An den Felsen breiten Farne ihre Fächer über dunkelgrünem Moos aus, die Rote Nachtnelke leuchtet am Fuß der Bannwaldhänge. Rechts hinauf geht ein durch Balken und Holzgeländer befestigter Weg, oben in einen waldigen Pfad übergehend, bis der Pfad auf eine Asphaltstraße trifft, die zur Staumauer nach links zu nehmen ist. Schon nach wenigen Minuten Asphalt ist ein Platz oberhalb der Staumauer erreicht. Über das Gebiet des Eckerstausees belehrt hier eine Informationstafel: So liegt der Stausee fast vollständig in den Eckergneis eingebettet, das als eine aus der Tiefe herausgepreßte alte Gebirgsscholle (geologisches Fenster) gilt, die auf ein Alter von 380 Mio. Jahre geschätzt wird. Nur im Gebiet der Staumauer befindet sich Mg und Fe-reicher, magmatischer Olivingabbro, der auf ein Alter von 290 Mio. Jahre geschätzt wird. Wegen seiner Verwitterungsbeständigkeit entstand hier eine Verengung des Eckertals mit guten Voraussetzungen für den Bau einer Staumauer, die 1939 – 43 erbaut wurde.

Nun geht es weiter, nicht nach links über die Staumauer, sondern geradeaus, den Pionierweg nehmend, der am Ostufer des Eckerstausees entlangführt: ein abschnittsweise nur schmaler Waldpfad, der an urigen Felsbrocken entlangführt und immer wieder faszinierende Ausblicke auf den See eröffnet, der tiefblau durch die sonnenbeschienenen Wälder schimmert. Im Uferwald findet sich derselbe Siebenstern, der schon an Pfingsten im Erzgebirge seine weißen Blüten so zierlich im Gras ausbreitete. Ginster blüht, und frischgrün leuchtet das junge Laub der Heidelbeeren aus dem Waldboden. Ein Abstecher vom Pionierweg führt zum Skidenkmal: „1914 – 1918 – Der Skiclub Braunschweig gedenkt seiner im Weltkrieg für das Vaterland gestorbenen Skibrüder“.
Blick vom Pionierweg auf den Eckerstausee

Am Ende des Sees führt der Weg über breite Steine im Bachlauf. Auf nunmehr stärker befestigten Waldweg geht es rund um den Eckerstausee weiter, bis ein Abzweig Richtung Scharfenstein und Brocken verweist, dem ich trotz der fortgeschrittenen Zeit hinauf folge. Wiesen und Schotter unter den Füßen, geht es leicht bergan, dann ist die Einkehrhütte am Scharfenstein erreicht, um diese Uhrzeit schon geschlossen. An der Hütte vorbei führt ein schmaler Pfad in den Wald, hinauf auf den Scharfenstein, den „kleinen Bruder“ des Brockens. Es ist traumhaft schön, hier oben zu stehen, in dieser Einsamkeit über den Wäldern, den Blick frontal auf den Brocken gerichtet, über dem Eckerstausee stehend, so klein in dieser gewaltigen Waldfläche. Es dämmert schon, kein Mensch mehr ist jetzt unterwegs. Die Sonne bricht in Strahlen durch die Wolken und beleuchtet den See, der das Licht wie ein riesiger Spiegel reflektiert, die unendlichen Waldflächen. Hier oben müßte man einmal des Nachts bei Vollmond stehen, zwischen Brocken und See…

Lange kann ich nicht hier oben bleiben und das Schauspiel aus Licht bewundern, hier oben weht ein kalter Wind, und ich muß noch zurück nach Bad Harzburg, ein Wegstück, das ich vor Einbruch der Dunkelheit unmöglich schaffen kann.

Vorsichtig steige ich in der Dämmerung wieder herunter vom Scharfenstein und mache mich auf den Heimweg, zunächst zurück zum See, dann am anderen Ufer entlang bis zur Staumauer und darüber hinweg. Zum Glück kenne ich den Weg nach Bad Harzburg zurück so gut, daß ich ihn problemlos auch bei schwachem Licht gehen kann, er hat sich mir in- und auswendig eingebrannt auf all den Brockenwegen, die ich schon hinter mir habe. Der Sonnenuntergang trifft den See, zwei Enten schwimmen, schon schlafend, auf der ruhigen Wasserfläche.

KuckuckslichtnelkeIm Tal der Ecker ist es beim Rückweg schon ziemlich dunkel, dichter Wald verschattet das letzte Licht, und ich bin froh, als ich wieder auf der Wiese am Molkenhaus stehe. 22 Uhr ist es jetzt, ich setze mich im Dunkeln auf eine Wiesenbank und genieße das Zunehmen der Dunkelheit, die tiefe Ruhe, in der jetzt die Landschaft liegt, und die immer noch sommerliche Wärme an diesem lauen Abend. Als ich aufstehe, ist die Nacht endgültig gekommen.

Vorbei geht es am Molkenhaus, dann über die Fahrstraße zurück nach Bad Harzburg. Den Waldweg kann ich jetzt nicht mehr gehen, es ist zu dunkel, man würde keinerlei Unebenheiten erkennen können, die Fahrstraße hingegen reflektiert ein wenig Licht, leuchtet hell aus dem Wald. Zwei Autos kommen noch vorbei, still trete ich in den Schatten am Straßenrand, als sie vorüberfahren. Gesehen werden möchte ich nicht, in den Wäldern heutiger Tage ist der Mensch die einzige wirkliche Gefahr für einen einsamen Wanderer.

Etwa um halb 12 erreiche ich Bad Harzburg, die Lichter blenden grell meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Es hatte sich gelohnt, nachmittags noch aufzubrechen.

Eckerstausee im Abendlicht

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