Abertham, Juni 2007
Abertham wurde 1529 gegründet und 1579 zur Stadt erhoben. Zunächst wurden Zinn und Silber gewonnen, vom Bergbau kündet auch das Aberthamer Wappen.
Später wurde Abertham Zentrum der böhmischen Handschuhfertigung. Meine Oma mütterlicherseits stammte aus Abertham, das im Erzgebirge auf 900 m über N.N. liegt und zum Kreis Neudek im Bezirk Karlsbad gehörte. Nach 1945 wurden nahezu alle Deutschen vertrieben, so auch die Familie meiner Oma. Schon als Kind hatte ich ein enges Verhältnis zu ihr, war oft mehrere Tage zu Besuch; später gingen wird oft zusammen mit dem Hund in den Wald und sie erzählte mir von früher: von den harten Wintern, vom vielen Schnee, der oft den Hauseingang vollständig blockierte, von weiten Wiesen und unendlichen Waldflächen, von den weiten Fußwegen, oft alleine durch den Wald, vom Heumachen („zur Arbeit geht man schnell, von der Arbeit geht man langsam“), von der Musik, die zur Familientradition gehörte, von alten Instrumenten, von ihrem Vater, der sehr streng, aber auch verantwortungsvoll war und der ihr immer als Vorbild diente, von den Geschwistern, von ihrem ältesten Bruder, Franz Grünwald, der Musik studierte und 1944 bei Sewastopol verschollen ist.
Von Bierfässern und Limonade, vom Karpfen, der zu Weihnachten aus der Pfanne sprang, von einem Rehkitz, das sie aufgezogen hatten und das einmal in die Halle lief, in der die Getränke abgefüllt wurden – es rutschte auf dem glatten Boden aus, brach sich ein Bein. Keiner mochte das Fleisch essen, nachdem es getötet werden musste. Sie erzählte von dem dicken Ackergaul, der den Bierwagen zog, von den beiden Kühen, davon, dass ihr Vater kein Huhn schlachten konnte und somit ihrer Mutter diese Aufgabe blieb. Sie erzählte, wie geschlachtete Hühner ohne Kopf noch über den Hof laufen können, von den Handschuhen, die ihre älteste Schwester fertigen lernen musste, von den beiden Tanten im Nachbarort, die jedes Kraut kannten und anzuwenden wussten, von den Vögeln, die bei ihnen im Fenster standen, Gimpel und Grünlinge. Sie erzählte vom Arbeitsdienst, vom Katzenkot unter den Betten auf dem Hof, auf dem sie eingesetzt war, sie erzählte vom Krieg, davon, wie sie nach ihres Bruders Tod nicht mehr feiern konnte, während andere im Feld standen. Ich kann es nicht begreifen, wie andere noch feiern konnten, sagte sie – wenn die anderen in Dreck und Kälte, hungernd und in Todesgefahr lagen. Etwa 1943 wurde auch ihr Vater, Franz Grünwald, kriegsversehrt vom ersten Weltkrieg, eingezogen – er kam nicht mehr zurück. Sein letzter Brief stammt vom 13.01.1945, er ist in der Gegend von Gorlice verschollen. Sie erzählte davon, wie die Tschechen kamen, von der Lehrersfamilie, die ermordet im Wald aufgefunden wurde. Auf den Toten noch, so wurde erzählt, sah man die Gänsehaut und Abdrücke von Zigaretten. Sie erzählte, wie russische Soldaten in der Gaststube einen „Kosakentanz“ aufführten und sich keiner zu rühren wagte – schließlich löste sich ein Schuß und schlug dicht neben ihrer jüngeren Schwester ein. An einem Tag wurde das ganze Dorf auf dem Marktplatz zusammengetrieben: es hieß, jeder Dritte werde erschossen. Sie erzählte, wie ihre ältere Schwester in Ohnmacht fiel. Dann aber durften alle wieder gehen. Sie wusste nicht, warum. Ihr jüngerer Bruder, zu Kriegsende 15 Jahre alt, wurde mit Freunden drei Tage festgehalten. Er erzählte nie, was ihm passierte, er sprach nur über seinen Freund, der mit dem Gesicht zur Wand stehen musste, ein Blatt Papier zwischen sich und der Wand – fiel das Papier hinunter, wurde er geschlagen.Zunächst wurde ein tschechischer Verwalter eingesetzt, dann mussten sie das Land verlassen; ein gefüllter Rucksack war alles, was sie mitnehmen durften – und auch dessen Inhalt wurde vorher genau besichtigt. Alles blieb zurück: das Elternhaus, die Musikinstrumente, alle Erinnerungen. Keins der Geschwister fasste jemals wieder ein Instrument an. Freundschaften und Familienbindungen wurden auseinandergerissen. Aus der anfänglichen Hoffnung, in ein paar Jahren zurückkehren zu können, wurde die Gewissheit: nie mehr zurück, nie mehr nach Hause, heimatlos.
Meine Oma kam zunächst nach Dachau, das als Auffanglager für Sudetendeutsche weiterbetrieben wurde, dann nach Oberammergau und arbeitete dort für eine amerikanisch-jüdische Offiziersfamilie als Haushaltshilfe und Kindermädchen. Es waren feine Leute, sagte sie immer, sie waren gut zu ihr, halfen ihr auch später noch, als sie wieder „drüben“ waren, wollten sie sogar mitnehmen – aber meine Oma wollte in Deutschland bleiben.
Für die einheimische Bevölkerung waren die Vertriebenen Menschen zweiter Klasse, sie hatten ja nichts, keinen Besitz, keinen Grund und Boden…
Schließlich zog meine Oma in den Stuttgarter Raum und arbeitete als Sekretärin. In ihren letzten Lebensjahren wohnte sie bei meinen Eltern, und die Erinnerungen an früher häuften sich. Ihre jüngere Schwester fuhr, als es wieder möglich war, mit alten Klassenkameraden regelmäßig nach Abertham zurück, aber meine Oma wollte nicht – sie hatte Angst, es nicht verkraften zu können, Angst vielleicht auch, die Erinnerungen zu trüben, als die Familie noch vollständig war.
Heimatverlust ist ein Schmerz, der unheilbare Wunden reißt, sie vernarben nur oberflächlich, reißen immer und immer wieder auf. In den Wochen vor ihrem Tod sprach sie häufig von ihrem ältesten Bruder. Ich weiß nicht, ich sehe immer den Franz, sagte sie. Sie starb Anfang Juni 2005, zehn Tage später starb ihre ältere Schwester, die jüngere war schon lange tot.
Die Sonne schien auf ihr Grab.
Die Sonne schien auf ihr Grab, aber alles wirkte so leer, meine Oma so weit fort. In fremder Erde, in Erde, auf der sie nie wirklich heimisch wurde, nie wirklich Fuß fasste, immer die Sehnsucht blieb, der Schmerz über das Verlorene. Geschichte, die kein Ende nimmt.
Ich musste dorthin, die Erzählungen begreifen lernen, sehen, wovon sie gesprochen hatte, nachfühlen können, welche Bande die Landschaft gewunden hatte. Und Erde mitbringen – für ihr Grab. Heimaterde, Aberthamer Erde, Erde von den Wiesen und Wäldern, wo sie glücklich gewesen war.
Allerdings: keiner von uns kannte sich aus in Abertham. Alle aus der Familie meiner Oma waren tot, die uns hätten helfen können, der jüngste Bruder lebte noch, aber im Ausland. Man würde ja nicht einfach so durch die Gegend laufen wollen. Irgendwie erfuhren wird, dass jedes Jahr am zweiten Wochenende im Juni eine viertägige Fahrt nach Abertham stattfindet, organisiert von der „Gruppe Abertham“, an der alte Aberthamer teilnehmen.
So kam es, dass mein Vater und ich mit nach Abertham fuhren.
Wie es wohl sein würde? Ob jemand den Namen meiner Oma kennen würde? Oder ob sie die Achsel zucken würden und sagen: Nie gehört!
In München würde ich zum Bus zusteigen. Eine Gruppe älterer Menschen mit Gepäck – das waren sicher die Aberthamer. Als ich nach Abertham fragte: großes Erstaunen, aber auch Freude, dass jemand Jüngeres mitfahren würde, sich interessierte für die „alte Heimat“. Die Grünwalds? Ach ja. Das waren doch die mit den Flaschen! Und der Jüngste, der Ernst, der ist doch dann nach Amerika gegangen? So wars – ich war richtig.
Schließlich kam der Bus. Es stellte sich heraus, dass der Reiseleiter ein Verwandter ist. Er würde uns am Sonntag das Elternhaus meiner Oma zeigen, auch das Grab meiner Ur-Ur-Großeltern. Zunächst aber ging die Busfahrt über Regensburg nach Neualbenreuth, das im Egerland liegt, aber noch auf deutscher Seite. Zwischenstop zum Mittagessen – zu Essen gab es auf dieser Fahrt eigentlich ständig. In Neualbenreuth teilte sich die Gruppe: ein Teil besuchte das nahegelegene Sibyllenbad, ein Kurbad, das bewusst in dieser „strukturschwachen Region“ gebaut worden war, der andere Teil, darunter mein Vater und ich, nahm an einer Führung durch Neualbenreuth teil mit Besichtigung von Kirche und Heimatstube. Am Rathaus das Egerländer Wappen – und die Kirche weist die Besonderheit auf, dass sie von der üblichen Ausrichtung abweicht, um voll auf Eger Land zu liegen. Nach Kaffee und Kuchen ging die Busfahrt weiter, über die Grenze und über Karlsbad, eine neue Umgehungsstraße überbrückt die Stadt und hält den Verkehr fern.
Im Café hatte ich mich mit einer Frau unterhalten, die elf Jahre alt war, als sie Abertham verlassen musste. Sie erzählte, wie es gewesen war, als sie das erste Mal zurückgefahren sei. Abertham habe schrecklich ausgesehen, die Häuser, der Ortskern verfallen, der Bauernhof ihrer Großeltern abgerissen. Und Abertham sei eine so schöne, gepflegte Stadt gewesen. Sie sagte, sie habe zwei Tage nur geweint, immer wieder, ganz tief von innen her, es sei immer wieder hochgekommen und habe sie richtig geschüttelt. Und sie erzählte, wie sie damals, als Kind, eine Puppe hatte, die sie gern mitnehmen wollte, als sie Abertham verlassen mussten. Ein tschechischer Soldat sei mit aufgepflanztem Gewehr gekommen, habe gesagt: Die nimmt Du nicht mit. Er riß ihr die Puppe aus der Hand und zertrat sie mit seinem Stiefel.
Abertham sehe immer noch schrecklich aus, aber das würde ich ja bald selber sehen. Sie habe sich angewöhnt, nicht mehr so genau hinzuschauen, wichtig seien ihr das Zusammentreffen mit den anderen, die wieder aufgebaute, renovierte Kirche, die Landschaft, das Teilen von Erinnerungen. Aber die Bitterkeit schwindet nicht ganz.
Abertham – ja, wie wird es sein für mich, dort zu stehen? An einem Ort, in dem meine Vorfahren gewohnt, gelacht, gearbeitet, gelitten haben? Die Wiesen zu sehen, über die meine Oma gelaufen ist, die Wälder, durch die sie ging?
Im Bus gibt es „Brauscher“, ein limonadenartiger Schnaps – eine Spezialität, die mein Ur-Ur-Großvater – Franz Grünwald – erfunden hat. Dann fahren wir durch St. Joachimsthal. Am Ortseingang große Kurhotels, dann, zum Zentrum hin, wird der Ort sehr wüst. Typisch für St. Joachimsthal sind die kettenartig zusammengebauten Häuser. Man sieht an der Bausubstanz, an den Verzierungen der Gebäude, dass diese Stadt einst schön war, man kann es noch erahnen – heute bröckeln Putz und Mauerwerk, die Farben sind alt und grau, kaputte Fensterscheiben, einsinkende Dächer, viele Häuser stehen leer. Wir fahren durch Wald. Ganz in der Nähe stand einst das Kloster Maria Sorg, zudem die Aberthamer an hohen Feiertagen in die Kirche gingen. Nach dem Krieg wurde es von den Russen als Pferdestall benutzt, dann geschleift. Die Marienfigur allerdings wurde gerettet und nach St. Joachimsthal verbracht, sie existiert noch heute.
Wir passieren eine Stelle im Wald, an der früher ein Wirtshaus stand, in dem die Skifahrer oft Rast machten. Die Butter wurde im Winter draußen gelagert, man konnte geschmierte Brote kaufen, und es heißt, die Wirtin haben die Butter im Mund weichgekaut, wenn sie zu fest zum Streichen war…
Dann sind wir kurz vor Abertham. Auf der Rechten liegt ein Wald – wir erfahren, dass hier einst die Wiesen meines Ur-Ur-Großvaters und Urgroßvaters lagen. Hier war es, wo meine Oma beim Heumachen half. Nach dem Krieg wurden sie aufgeforstet, werden nun von Fichtenwald bedeckt. Einen Moment lang leuchtet die Kirche der Heiligen Vierzehn Nothelfer weiß aus den Häusern. Übernachten werden wir in der Alten Post, heute Hotel, früher Bauernhof. Abertham sieht nicht so ganz schlimm aus wie St. Joachimsthal. Zwar stehen auch hier viele Häuser leer, vor allem im Ortskern, aber viele sind auch bewohnt und renoviert, besonders in den Randbereichen. Das Elternhaus meiner Oma sehen wir an diesem Abend nicht mehr, wir wissen nur, dass es in der Nähe der Kirche liegt, aber nicht, wo genau.
Mein Vater und ich gehen nach dem Abendessen auf der Straße nach Hengstererben aus dem Ort hinaus. In Hengstererben gibt es kaum verfallene Häuser, die meisten sind frisch renoviert, werden als Ferienhäuser von Karlsbadern und Holländern genutzt. Von einer geschlossenen Siedlung kann man kaum reden, die Häuser liegen vereinzelt und verstreut.
Über der Landschaft liegt ein Zauber. Das Land ist unheimlich weit, artenreiche Wiesen überziehen die hügelige Hochfläche. Das abendliche Licht bringt die Wiesen zum Leuchten, die noch mit silbern schimmernden Regentropfen vom letzten Schauer bedeckt sind. Wilde Lupinen blühen blau, orangerotes Habichtskraut und rosafarbener Vogelknöterich bilden Farbtupfer im Grün. Unzählige weitere Blumen wachsen zwischen verschiedensten Gräsern. Wir steigen auf einen kleinen Hügel, auf dem ein steinernes Kreuz steht, die Inschrift ist nicht mehr zu erkennen. Dunkle Wolken kontrastieren mit lichtem Himmelsblau, wir blicken auf den Pleßberg, über dem ein Regenbogen steht. Ein leiser Wind weht, Stille, nur der Gesang von Vögeln zwischen Kiefern, Fichten und Birken. Und diese weiten, weiten Wiesen, Himmel und Erde verschwimmen, werden eins. Unter unseren Füßen wachsen Heidekraut und Blaubeersträucher. Eine sanfte Melancholie liegt über dem Land, der Wind nimmt das Leid der Vergangenheit auf und webt es ein in das Bild, verweht die Bitterkeit, lässt eine leise, klingende Schwermut übrig. Wer sollte nicht Sehnsucht haben nach einer solchen Landschaft! Abertham liegt dort oben wie ein sicherer Horst und doch – auch hier gab es keine Sicherheit, kam der Unfrieden aus den Tälern, machte nicht Halt vor den Bergen, geschah unendliches Leid auch hier. Man möchte es angesichts des Friedens dieser Landschaft kaum glauben, der die Herzen im Innersten erfüllt, der manches lindert, was an offenen und tradierten Wunden besteht. Nun verstehe ich, dass keine Landschaft anderswo von meiner Oma mehr als gleich schön, als ebenbürtig empfunden werden konnte, dass die Sehnsucht nach den Weiten des Erzgebirge ein Leben lang anhielt. Auch am nächsten Morgen singen Vögel, es schien mir, als hätten sie die ganze Nacht ein Lied vom Frieden gesungen.
Am nächsten Tag bleiben wir nicht in Abertham, sondern wollen das Kloster Osek besuchen, das ein Stück weit entfernt liegt. Wir brechen zeitig auf und fahren ein paar Stunden, passieren eine Braunkohle- und Industrieregion. Schließlich erreichen wir das Kloster. Die Klosterkirche hat eine neue, strahlende Fassade, auch das direkt anschließende Nebengebäude sieht von außen ganz passabel aus. Die weiteren Nebengebäude allerdings stehen leer, haben teils zerbrochene Scheiben, verfallen. Um 10 Uhr beginnt der Gottesdienst, an dem wir teilnehmen werden. Osek ist ein Zisterzienserkloster, wurde während der Zeit des Kommunismus als Internierungslager für Nonnen „genutzt“ – viele starben, der Friedhof birgt heute an die 300 Gräber aus dieser Zeit. Die Klosterkirche ist im Inneren unglaublich reich geschmückt, zu ihren Glanzzeiten muß sie phantastisch ausgesehen haben. Im Inneren jedoch wurde noch kaum etwas restauriert, das größte Problem ist wohl die Feuchtigkeit in den Wänden. Im Anschluß erteilt uns der noch recht junge Pater seinen Primizsegen – dann führt er uns durch das Kloster. Sie sind nur zu zweit, der Abt, Abt Bernhard, kam 1990 dorthin, der Pater folgte später. Die Bevölkerung in der Umgebung ist weitgehend atheistisch, und es ist schwer für sie, Zugang zur Bevölkerung zu finden. Beide sind Deutsche, das mag ein zusätzliches Hemmnis sein. So voll wie an diesem Tag war die Kirche schon lange nicht mehr, man merkt ihnen die Freude darüber an, sonst kommt nur eine Handvoll Leute aus der Umgebung. Sie wissen ja, wer in dieser Gegend katholisch war, sagte der Pater und blickte auf die Aberthamer. Die Deutschen, die Katholiken also, wurden vertrieben. Allgemein hat der Kommunismus Spuren hinterlassen, der Glaube an Gott ist nicht sehr verbreitet.
Wir sind zum Mittagessen eingeladen, der Abt freut sich sehr. Es gibt Schweinebraten mit böhmischen Knödeln („Schnapper“, sagen die Aberthamer dazu, wie meine Oma, nirgendwo sonst habe ich bisher diesen Ausdruck gehört), zum Nachtisch Kuchen und Eis. Obwohl der Abt todkrank ist – er hat Krebs – ist er noch voller Lebensfreude und beweist mehrfach seinen rheinländischen Humor.
Zurück nach Abertham fahren wir nicht dieselbe Strecke, sondern „obenrum“ übers Erzgebirge und über Gottesgab, den Heimatort des Liederdichters Anton Günther. In Gottesgab befindet sich sein Grab und ein Anton-Günther-Wanderweg, die Grenze zu Sachsen ist ganz in der Nähe. Wir fahren über Seifen, das es nicht mehr gibt, und Hengstererben zurück nach Abertham.
Bis zum Kirchgang in der Aberthamer Kirche um 18 Uhr, der das Aberthamer Fest einläutet, bleibt noch ein wenig Zeit. Mein Vater und ich verlassen den Ort zu einem kleinen Spaziergang, vorbei an der ehemaligen Handschuhfabrik am Ortseingang, die heute leersteht.
An einem verfallenen Bauernhof vorbei führt ein Erzgebirge-Lehrpfad, neue zweisprachige Tafeln erklären die Geschichte der Handschuhproduktion. An einem nahegelegenen Wäldchen nehme ich Walderde auf, für das Grab meiner Oma. Die Erde ist ganz leicht, die oberste Schicht, wiegt kaum etwas. Die freie Zeit ist um – wir gehen zurück, ziehen uns für den Kirchgang um. Den Gottesdienst hält ein junger Pfarrer, der mit uns im Bus gekommen ist und dessen Oma aus Hengstererben stammt.
Die Kirche wurde nach 1990 hauptsächlich mit Spendengeldern der ehemaligen Aberthamer Bürger und der Bistümer Rottenburg-Stuttgart und Freising außen und innen renoviert, das Dach neu eingedeckt. Die Kirche der Heiligen 14 Nothelfer ist eine kleine Kirche mit einer niedrigen Kassettendecke, aber reich ausgestaltet. Hinter dem Altar befinden sich hinter Glas Holzschnitzereien der Heiligen 14 Nothelfer. Die Kirche wirkt insgesamt wie eine große Wohnstube, ein Ort, an dem man sich zu Hause fühlen kann, und ist es heute wohl erst recht – für die Menschen, die hierher zurückkommen, denen aber ihre alten Elternhäuser kein zu Hause mehr bieten. Früher war die Kirche Mittelpunkt des dörflichen Lebens.
Nach dem Kirchgang gab es Abendessen und einen Heimatabend auf dem Pleßberg. Wir hörten einen Vortrag über Anton Günther und Liedbeispiele, auch gesungen wurde – der Vuglbeerbaam, nicht von Günther, und Of de Bargh, do is halt lustig, musikalisch untermalt von einer bayrischen Saitenmusikgruppe, die auch schon in der Kirche gespielt hatte. Ein junger Tscheche stellte kurz die Gruppe Antikomplex vor, die die deutsche Vergangenarbeit aufarbeitet und die Erinnerung an ihre Landsleute weitergibt.
An unserem Tisch saß eine ehemalige Klassenkameradin meiner Oma, die allerdings kaum noch Erinnerungen an meine Oma hatte, und ein sehr nettes Ehepaar, das Abertham erst 1967 verlassen durfte. Sie erzählten uns Hintergründe zu der geplanten Massenerschießung auf dem Dorfplatz, von der auch meine Oma gesprochen hatte. Ein junger Kommunist aus Bärringen, dem Nachbarort, war 1938 vor den Nazis nach Russland geflohen und kam 1945 als Kommandant (?) der Roten Armee zurück. Als die Tschechen die Dorfbevölkerung zusammentrieben, gelang es, ihn rechtzeitig über die Vorgänge zu informieren. Er fuhr sofort nach Abertham und verhinderte die Erschießung.
Aber zu einzelnen Erschießungen kam es oft. Sie klingelten an Haustüren, nach dem Öffnen wurden viele erschossen. Auch von der ermordeten Lehrersfamilie sprachen sie.
Sie erzählten auch von einigen anderen Erlebnissen aus der Zeit bis ´67. Er war zunächst im Lager, wurde dann zur tschechischen Armee eingezogen. Als er wegen einer Augenverletzung operiert werden musste, sagte der Arzt zuvor zu ihm: Sie sind Deutscher? Deutsche sehe ich sehr gerne – am liebsten zwei Meter unter der Erde. Aber die Operation wurde sorgfältig durchgeführt.
Auch an meine Familie erinnerten sie sich. Seine Frau schwärmte von der Schoko-Limonade, die es nur manchmal gegeben habe, und die alle Kinder am liebsten gemocht hätten.
Der nächste Tag nun, der Sonntag, war der eigentliche „Aberthamer Tag“. Morgens wieder Gottesdienst, diesmal zweisprachig, da der Bischof aus Pilsen anwesend war sowie der tschechische Pfarrer, der auch für die Aberthamer Gemeinde zuständig ist – auch hier allerdings gibt es nur wenige Katholiken, vor allem Deutsche, die dageblieben sind, weil sie tschechische Ehepartner hatten oder beruflich spezialisiert und daher unabkömmlich. Wieder wirkte die Kirche mehr wie eine Wohnstube, anheimelnd, nicht einschüchternd, erdrückend oder nüchtern, nicht so abweisend, aber auch nicht so „heilig“ wie manche andere Kirche.
Zum Mittagessen fuhren wir nach Platten, danach stand freie Zeit in Abertham zur Verfügung. Während wir vor der Kirche auf unseren Verwandten warteten, der sich sehr für die Instandsetzung und –haltung der Kirche einsetzt und daher den Dachstuhl wieder einmal besichtigen musste, unterhielten wir uns mit einer Frau, die damals schräg gegenüber meiner Familie gelebt hatte. Sie erinnerte sich noch gut an den Vater meiner Oma, sie sagte, er sei sehr gütig gewesen und habe Kinder sehr gern gemocht. Auch sie erzählte von den Limonaden, Limonaden in allen Farben habe es gegeben, auch in kornblumenblau. Auch in der Theaterspielgruppe des Ortes sei er gewesen, die ab und an sogar vor dem verwöhnten Karlsbader Publikum im dortigen Theater auftrat.
Ihr eigener Vater wurde von Tschechen zusammengeprügelt, er sei Treppen heruntergeworfen worden und immer wieder in den Leib getreten worden. Er wurde zum Invaliden, konnte nichts mehr tun, nicht mehr arbeiten.
Wieder einmal fragte ich mich, woher diese Menschen die Kraft nehmen, an Orte zurückzukehren, an denen solches geschehen ist. Wie sie es schaffen, davon zu erzählen, sich zu erinnern. Wie furchtbar muß es gewesen sein, solches mitzuerleben. Abertham – auch ein Ort des Schreckens…
Dann gehen wir auf den Friedhof. Fast alle Gräber tragen deutsche Namen, die tschechischen Toten sind in Urnengräbern begraben. Manche Gräber sind neu hergerichtet, manche alt und verfallen. Die Friedhofsmauer ist in Teilen eingestürzt und zerbröckelt. Man sieht die Kirche von hier aus weiß im Ort leuchten.
Dann gehen wir vorbei am alten Schulhaus, das heute Gemeindehaus ist und im ersten Raum eine Ausstellung zur Aberthamer Geschichte mit alten Fotografien birgt, zum Elternhaus meiner Oma. Ein großes Haus, grau, auf der Vorderseite befindet sich eine Holzverkleidung im oberen Teil. Uns wird erzählt: unten links war die Gaststube, unten rechts die Tabak-Traffic, dahinter die Küche. Im hinteren Teil des Erdgeschosses befand sich die Bier- und Limonadenabfüllung, dahinter lag der Stall für die Kühe und das Pferd.
Oben links lebten die Großeltern, oben rechts die Familie meiner Oma, Vater, Mutter, die fünf Geschwister. Auch einen Heuboden gab es.
Von ferne wirkt das Haus gar nicht sehr kaputt – aber wenn man näher kommt, sieht man den Verfall. Der Putz bröckelt und legt teilweise Mauerwerk frei, das Dach senkt sich, Scheiben sind zerbrochen. Oben rechts ist ein kleiner Teil bewohnt, alles andere steht leer. Wir blicken durch die Fenster auf die frühere Gaststube – alles ist dunkel und leer. Wir gehen ums Haus herum, werfen einen kurzen Blick in den Flur. Die von der Straße aus rechte Seite und die Rückwand sehen noch mal ein ganzes Stück schlimmer aus, der Garten ist heute geteilt und gehört zu anderen Häusern.
Unser Verwandter erzählt noch einiges zur Geschichte der Familie: mein Ur-Ur-Großvater, kam Anfang des 20. Jahrhunderts aus Winterberg (heute: Vimperk) als Chorregent in den Ort. Er heiratete und konnte von seinem Beruf nicht leben, keine Familie ernähren. Er leitete mehrere Chöre in der Umgebung, gab zunächst zusätzlich Geigen-, Cello- und Klavierunterricht, dann erwarb er das Haus und eröffnete eine Gaststube, „Zur Linde“. Dazu kam eine Tabak-Traffic, und er fing an, Bier in Fässern zu kaufen und in Flaschen abzufüllen sowie Limonade selbst herzustellen, die Getränke dann auch auszufahren. Anfangs hatte er dafür einen damals schon museumsreifen LKW, dann Pferd und Wagen.
Sein ältester Sohn, der Vater meiner Oma, übernahm alle dies und war ebenfalls Chorregent von vier Chören. Dessen ältester Sohn wiederum studierte Musik, bis er eingezogen wurde und fiel. Jedes der Kinder musste mindestens ein Instrument lernen, meine Oma lernte Klavier zu spielen.
Dann gingen mein Vater und ich allein weiter. Zunächst noch mal zurück zum Haus, danach über den Friedhof auf die Wiesen. Wieder die beeindruckende Weite des Landes, die Vogelbeerbäume, das leuchtende, helle Grün frisch gemähter Wiesen. Plötzlich kommen mir die Tränen. Nach dem Kirchgang hatte ich noch gedacht, meiner Oma hätte es doch gefallen, einmal wieder zurückzufahren, die Kirche zu sehen, sich auszutauschen, die herrliche Landschaft noch einmal zu erleben. Aber das Haus…
Die ganze Familie hat stets gearbeitet, auch die Kinder schon, meine Oma war immer bemüht, alles schön und sauber zu haben, unheimlich fleißig. Und sie hat so oft von ihrem Elternhaus erzählt. Nun das, verfallen, leer, dunkel, nahezu unbewohnt. Oder wäre es vielleicht für sie schwerer gewesen, das Haus bewohnt, renoviert, vielleicht umgebaut wiederzufinden? Zeigt das Verfallen nicht doch, dass ein Platz, eine Lücke frei blieb, die nicht mehr aufgefüllt wurde? Aber ich glaube, der Schmerz wäre unheimlich groß gewesen, und ich dachte an die Frau, die zwei Tage lang geweint hatte. Ein „Jerumsnei“, wie es meine Oma oft gesagt hatte, wenn irgendwas passierte, hätte dafür nicht mehr ausgereicht.
Auf der Wiese unter einem Vogelbeerbaum entnahm ich Aberthamer Wiesenerde, schwer und dunkel, mischte sie mit der Walderde. Wir gingen weiter und die Landschaft wirkte wieder mit ihrem Zauber, tröstete, heilte, auch den Schmerz darüber, einen für mich so wichtigen Menschen verloren zu haben, linderte den Schmerz, die Empörung, was man Menschen angetan hatte, die es nicht verdient hatten, dass man so mit ihnen umging. Auch die Erinnerung an die vielen Gespräche war wieder aufgebrochen, die wir geführt hatten, über alles mögliche, meine eigenen Probleme, über die Gesellschaft, über Politik, über die Schule, Streit, den ich hatte, über meine Tiere, den Wald und die Natur. All das wird für mich nun immer auch mit dieser Landschaft verbunden bleiben – wenn ich an meine Oma denke, denke ich an die weiten, grünen Wiesen, den Regenbogen über dem Pleßberg.
Am Abend klang der Tag beim Abendessen in der Alten Post aus, der nächste Morgen brachte den Abschied. Wir blieben ein paar Stunden in Karlsbad. Die Karlsbader Innenstadt ist sehr schön wiederhergestellt – dann ging es zurück, mit vielen Gedanken, Bildern, und: Aberthamer Erde. Am Sonntag darauf war ich bei meinen Eltern, ging mit meiner Mutter zum Grab, verteilte die Erde von Abertham, sang das Lied „Of de Bargh, do is halt lustig“. Es war eine innere Verpflichtung, das zu tun, eine Erfüllung, ein Kapitel ist zu Ende gegangen. Jetzt liegt es an mir, ein eigenes, neues Verhältnis zu Abertham zu finden, die Erlebnisse, Erfahrungen und Gefühle, den Schmerz meiner Oma über den Heimatverlust Geschichte sein zu lassen, die Wunden in der Familie heilen zu lassen. Sie hat Frieden gefunden, eine Seele, aufgegangen im Göttlichen, kennt keine Ländergrenzen, kennt nicht Gegenwart und Vergangenheit, hat die Heimat ihrer Sehnsucht wiedergefunden, alles ist eins.
Ich werde wieder hinfahren – vielleicht zum nächsten Aberthamer Fest im kommenden Juni, sicher aber einmal – oder auch öfter – zum Wandern.
Zu den Geschehnissen nach Kriegsende läßt sich sagen, daß alles hier Niedergeschriebene auf Erzählungen von Zeitzeugen beruht und demzufolge nach all dieser Zeit keine detailgetreue Wiedergabe mehr sein kann. Die Ermordung der Lehrersfamilie sowie der Bericht, eine Massenerschießung sei geplant gewesen, tauchen in allen Erzählungen auf, allerdings mit Variationen in den Details. Ich war 2011 nochmals in Abertham, und deutliche Variationen treten selbst in den Erzählungen einer einzelnen Person auf. Die genaue historische Faktenlage herauszufinden, ist mir als Nicht-Historikerin nicht möglich.
Sehr geehrte Frau Sahm,
ich bin zufällig auf ihren Aufsatz gestoßen. Ich werde morgen zum Aberthmaer Fest in der Kirche eine kleine Rede halten. Mein Vater hat 1964 das Aberthamer Fest gegründet. Er war einer der Ersten, der Reisen in die ehemalige Heimat durchgeführt hat. Auch ich war als 4-jähriger bei der ersten Fahrt dabei. Später fuhr ich selbst als Busfahrer nach Abertham und Reichenberger und Troppau und noch viele andere Orte. Das was Sie schreiben stimmt. Ich kenne die Ermordung der Lehrerfamilie aus Erzählungen und noch viele andere Erzählungen. Mein Onkel hat zusammen mit aktiven die Gruppe Abertham gegründet und sich als Aufgabe die Renovierung der Kirche gestellt. Ich habe eine gebrauchte Orgel gefunden. Wir haben diese Orgel nach Abertham gebracht – die Orgel wird morgen geweiht. Die alte Orgel bleibt in der Kirche. Wenn einmal Geld da sein sollte, kann die alte Orgel renoviert werden. Nächstes Jahr stellen wir einen Gedenkstein für die Ermordeten Bürger von Abertham und werden auch den Friedhof etwas renovieren.
Mein Opa hat mir viel von Abertham erzählt – mein Vater und meine Großeltern leben nicht mehr – ich denke dass die Fahrten nach Abertham in absehbarer Zeit aufhören. Aber auch ich werde meinen Kindern und „so Gott will“ vielleicht auch einmal meinen Enkeln Abertham zeigen. Denn nur wer seine Herkunft kennt kann seine Zukunft gestalten.
Mit freundlichen Grüßen
F.E.Zenker
Sehr geehrte Frau Sahm,
herzlichen Dank für Ihren Artikel über Abertham.
Auch meine Großmutter, Johanna Jordan (gebürtige Grimmer), stammt aus Abertham und Ihr Artikel hat mir sehr weitergeholfen, mehr über Geschichte und Brüche in der Dorfchronik zu verstehen. Vorallem über die Traumata und unverarbeitete seelische Schrecken, die meine Mutter nie thematisiert beziehungsweise verarbeitet hat und daher einige der „Spätfolgen“ auch uns Kinder trafen. Im Sinne eines großen Familiengeheimnisses, an dem nicht gerührt werden durfte.
Auch ich habe bereits erwogen, wenn es zeitlich mal klappt, auf den Spuren der Vorfahren eine Reise nach Abertham zu machen, evtl. sogar mit der Gruppe Abertham.
Schönen Gruß
E.Herrmann
Herzlichen Dank für Ihre Zuschrift! Wenn Sie mit der Gruppe Abertham fahren wollen, machen Sie es am besten bald. Die Zeit vergeht, und irgendwann wird man nicht mehr erfahren können, was man sucht, weil die Zeitzeugen nicht unendlich lange leben… Als ich im Jahr 2007 das erste Mal mit der Gruppe Abertham fuhr, gab es noch wesentlich mehr Teilnehmer, die eine gute Erinnerung an meine Familie in Abertham, die Familie Grünwald, und meine Oma Paula Grünwald hatten, als im Jahr 2011, in dem ich das zweite Mal mitfuhr.
Sehr geehrter Herr Zenker, ich bin ein entfernter Nachkomme der Familie Rudolf Zenker und auf der Suche nach Informationen bzw. Details über meine Familie. Sind Sie möglicherweise mit unserer Familie verwandt? Rudolf Zenker und seine aus der Bärringer Handschuhfabrikantenfamilie Neuburger & Strassberg stammenden Frau Anna, geb. Neuburger, betrieben das Hotel Stadt Wien in Abertam, in dem im Winter viele Skigäste quartierten. Nach dem Einmarsch der Nazis in Böhmen 1938 wurde das Hotel enteignet. Anna und die beiden älteren Töchter mit ihren Familien wurde Ende 1941 in das KZ Theresienstadt deportiert und weiter nach Auschwitz verschickt, wo die beiden älteren Töchter mit ihren Familien ermordet wurden. Rudolf Zenker war in der Widerstandsbewegung gegen die Nazis tätig und wurde 1941 im Zug von Karlsbad nach Pilsen, nachdem ein früherer Hotelgast,der als Gestapospitzel arbeitete, ihn erkannte und denunzierte, verhaftet und nach Auschwitz verbracht, wo er kurz vor der Befreiung im Januar 1945 an Typhus starb. Anna Zenker überlebte Auschwitz und starb 1964. Die jüngste Tochter Ruth überlebte in Berlin im Untergrund mit gefälschten Papieren und verstarb im März 2013 im 91. Lebensjahr in München. Falls Sie also Details über Familie Rudolf Zenker wissen, würde ich mich wirklich sehr Dreien, wenn Sie mir diese mitteilen könnten! ganz herzlichen Dank und freundliche Grüsse, M. Schroll
Sehr geehrter Herr Schroll,
vielleicht hilft Ihnen bei Ihrer Suche das Heimatmuseum für den Kreis Neudek (zu dem Abertham und Bärringen gehörten) in Augsburg weiter: http://de.wikipedia.org/wiki/Heimatmuseum_f%C3%BCr_Stadt_und_Landkreis_Neudek. Soweit ich weiß, gehört dazu auch ein Geschichtsarchiv.
Mit freundlichen Grüßen
I. Sahm
Sehr geehrte Frau Sahm, vielen Dank für Ihren Hinweis! Gerne werde ich mich an das Museum in Augsburg wenden. Freundliche Grüsse, M. Schroll
Sehr geehrter Herr Schroll,
meine Verwandten mütterlicherseits sind alle aus Abertham.
Gerne können wir Ihnen mit näheren Informationen
über das Schicksal der Familie weiterhelfen.Wir verfügen auch über alte Fotografien aus der Zeit um 1940 vom Hotel „Stadt Wien“und würden gerne mit Ihnen in persönlichen Kontakt kommen.
Mit freundlichen Grüßen und vielen Dank für
Ihr Interesse an der Familie Rudolf Zenker.
Ulrich Heissig
Den Beitag habe ich interessiert gelesen. Danke. – Obwohl ich aus dem sächsischen Teil des Erzgebirges stamme, habe ich von all den schrecklichen Dingen nichts gewußt.
Ich bin im Uranbergbaugebiet aufgewachsen, da war die Zahl der“Umsiedler“ nach dem Krieg besonders hoch. Über Flucht und Vertreibung wurde, auch von den Betroffenen , Stillscheigen gewahrt. Zum System gehörte, alles, was „geheim“ war, und alles was unangenehm war, war geheim (Umweltdaten etc.) als Nichthinterfragbar zu erklären. – Ansonsten eifriger Hinterfrager, kam ich in diesem Falle nicht auf die Idee.
Erst als die Landschaft unkomplizierter zugängig wurde, ich plötzlich vor Wegen ins Nirgendwo, vor zerstörten, grasüberwucherten Friedhöfen stand, wollte ich genauer wissen, was war früher hier, was hat sich hier abgespielt?
Mosaikartig habe ich seitdem versucht, Erinnerungen, Historie und Literatur zu einem Bild zusammenzufügen. Deshalb , oder besser, auch deshalb komme ich dem Verständnis über die Ursachen von Krieg, Flucht und Vertreibung etwas näher.
Sehr geehrte Frau Sahm,
die Schilderungen von Abertham riefen mir die Erinnerung an einer Reise mit meinem
Vater wach, die ich 1995 mit ihm in seine alte Heimat unternahm. Dieser war mit der Mutter nach dem Tod des Vaters 1940 im Krieg, bei seinen Großeltern in Salmthal
(Pstrutzi) lebend. Die Schilderung der Massenerschießung auf dem Aberthamer Marktplatz hat auch mein Vater angedeutet, ohne konkret zu werden, darunter muß
auch mein Großvater gewesen sein.
Später erzählte er auch, daß er bei einer Aufforstung (die geschilderte?) helfen musste
und hierzu zu spät kam, weil er dem Großvater noch helfen mußte in seiner Back-
stube. Ein Tscheche stellte ihn daraufhin an die Wand und drohte mit der Erschieß-ung (damals 11 Jahre alt). Eine Tante von ihm wurde von den marodierenden
Tschechen erstochen. 1946 die Vertreibung in Güterwaggons.
Heute kann ich meinen Vater verstehen, jedoch als Kind vermisste ich Heiterkeit,
Lachen, Unbeschwertheit in der Familie.
Habe den Beitrag mit grossem Interesse gelesen und würde ihn gerne für meine Tante Anna Neumaier, geborene Lerch aus Abertham, Hauptstrasse ( wo jetzt der „Wohnblock“ steht ) ausdrucken und ihn ihr mitbringen ins Pflegeheim, wo sie mit 92 Jahren jetzt lebt. Als sie ins Heim ging. sagte sie, sie hätte nun zum zweiten Mal ihre Heimat verloren. Meine Tanten, Paula und Anna Lerch und meine Mutter Emma Lerch fuhren des öfteren mit der Aberthamer Gruppe „hamm“. Einmal überraschten wir sie und fuhren mit dem PKW ebenfalls nach Abertham. Beim Ortsschild liess ich meinen Mann halten und ich fasste es nicht, dass ich tatsächlich jetzt das „sagenhafte“ Abertham sehen konnte, von dem ich mich bisher so weit entfernt fühlte, als läge es auf dem Mond. Dabei waren nur etwa 2 Stunden nötig, um es zu erreichen. Ich war ja noch im Januar 1943 in Abertham ( daham im Haus der Grosseltern Anna und Johann Lerch) geboren. 1945 wurden wir vertrieben unter all den bekannten Umständen und über Dachau usw. landeten wir in Sielenbach, einem grösseren Bauerndorf, dass mir zur eigentlichen Heimat wurde und Abertham „kannte“ ich nur aus den Schilderungen meiner Sippe. Darunter auch die der Aufstellung auf dem Marktplatz, auf den auch meine Mutter mit dem Neugeborenen Bruder hin musste. Meine Grossmutter hatte noch gebeten, mit ihm zu Hause bleiben zu dürfen. Aber Nein ! Meine Mutter erzählte, dass sie uns beide Kinder ganz eng an sich gedrückt hielt, so dass wir alle zusammen sterben sollten. Meine Familie hat gesagt, dass eine tschechische Fahne verschwunden war und man so lange Leute erschiessen würde, bis sie auftaucht. ES stellte sich heraus, dass die Fahne zum Trocknen auf einem LKW lag und nur nicht gleich gefunden wurde. So viel heute von mir. meine Tanten und mein Vater Rudolf Kraus hatten alle mit Handschuhen zu tun. Grossmutter hat vielgeklöppelt. Liebe Grüsse an die Aberthamer
Liebe Frau Echsler,
herzlichen Dank für Ihren Beitrag! Und natürlich dürfen Sie den obigen Text ausdrucken. Wenn Sie noch weitere Bilder haben möchten, kann ich Ihnen gerne welche schicken (von 2007 und 2011). Dass Sie die verschwundene Fahne erwähnen, ist sehr interessant. Ich hatte sie im Beitrag nicht erwähnt, jedoch ist sie nicht unbedeutend gerade für meine Familie gewesen. Die Fahne war der Grund, warum der jüngste Bruder meiner Oma mit seinem Freund gefangengehalten und wahrscheinlich gefoltert wurde (er sprach nur von dem, was seinem Freund passierte, nicht von sich selbst). Die beiden Jungen wurden (15 Jahre alt bei Kriegsende) verdächtigt, diese tschechische Fahne entwendet zu haben. Ein falscher Verdacht, wie sich dann herausstellte – mit schweren Folgen.
Ganz herzliche Grüße
Isabel Sahm