Karstfahrt – Tag 2 – Von Wettelrode nach Questenberg

Bei Morungen

Bei Morungen

02.07.2012: Am nächsten Morgen finden wir graue Regenwolken am Himmel vor, auch wenn es zu dieser Zeit (noch) nicht zu regnen begonnen hat. Der Karstwanderweg führt uns zunächst zum Kunstteich, den wir schon tags zuvor in Augenschein genommen hatten. Er wurde 1782 als Wasserreservoir für den Bergbau angelegt (1) und dient heute als Freibad und Picknickstätte samt Ausflugslokal. Jetzt am Morgen ist hier noch nichts los, und wir benutzen die Tische und Bänke für eine erste Frühstückspause. Nun führt uns der Weg hinein in das Naturschutzgebiet Gipskarstlandschaft Questenberg, das sich durch eine Vielzahl von typischen Erscheinungen einer Karstlandschaft auszeichnet: es besteht hier eine einzigartige Häufung von Dolinen, Erdfällen, Bachschwinden, Ponoren und ähnlichen Formationen. (1)

Solche Dolinen begegnen uns, als wir durch das waldige Gebiet der Mooskammer weiterwandern. Die Mooskammer ist ein Karstwall am südlichen Rand des Auslaugungstals von Morungen (wer möchte, kann hier einen Abstecher zu den Burgen Alt- und Neu-Morungen unternehmen); ihre Dolinen sind durch oberflächliche Auflösungen des Gipsuntergrundes entstanden. Hier bemerken wir auch allmählich, daß es der Karstwanderweg durchaus in sich hat: er verläuft keineswegs eben, die Hügellandschaft stellt nicht zu vernachlässigende Ansprüche an die Kondition durch stetig wiederkehrende steile Auf- und Abstiege. Auch macht sich bemerkbar, daß die vorangegangenen Tage sehr regenreich gewesen sind, der Boden ist aufgeweicht, die Oberfläche bildet eine rötlich-lehmige, extrem glatte Schmierschicht. Beide Merkmale werden uns auf dem gesamten Karstwanderweg begleiten. Die Beschilderung hingegen ist idiotensicher: das rotbalkige „K“ auf weißem Grund führt uns unfehlbar den gesamten Karstwanderweg entlang. Immer wieder öffnet sich der Wald zu Ausblicken über die Hügellandschaft, die selbst unter grauen Himmel bezaubernd wirkt. Weniger bezaubernd: kurz vor Großleinungen beginnt es, wie aus Kübeln zu schütten. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, die Temperatur auch, so daß wir uns unter unseren Ponchos wie in einer Sauna fühlen…

Der Ursprung des Namens Großleinungen wird gedeutet als ein Ort, der an einem mit Leinkraut bewachsenen Gewässer gelegen ist, belehrt uns eine Hinweistafel am Wegesrand. Wasser jedenfalls gibt es genug – von oben. Wir stellen uns an einer Bushaltestelle unter, bis der Regenschauer vorüber ist, neugierig betrachtet von aus der Schule heimkehrenden Kindern. Der Karstwanderweg ist nicht stark frequentiert, wir begegnen auf der gesamten Strecke nicht einer einzigen anderen Gruppe, die dasselbe Vorhaben hat wie wir, und selbst Tageswanderer sind eine große Seltenheit.

Doline am Ankenberg

Doline am Ankenberg

Weiter geht es entlang des Ankenbergs zur Ankenbergschwinde, dann immer weiter durch die Waldlandschaft südlich von Hainrode. Leider beginnt der Regen bald wieder in erheblicher Stärke, diesmal finden wir keine Unterstellmöglichkeiten mehr und müssen die Poncho-Sauna über nahezu die gesamte Wegstrecke bis Questenberg ertragen. Schutzhütten gibt es auf dieser Wegstrecke nicht, und so legen wir auch keine Rast ein. Erst kurz vor Questenberg endet der Regen – was für eine Erleichterung! Naß sind wir mittlerweile dennoch – von beiden Seiten…

Einer der Mitwandernden hat Questenberg schon des öfteren besucht und macht uns Hoffnung auf eine Einkehrmöglichkeit im Gasthaus „Zur Queste“, das nicht nur kulinarische Besonderheiten anbietet, sondern auch ein reiches und interessantes kulturelles Veranstaltungsprogramm. Als wir den letzten Wegabschnitt nach Questenberg hinuntergehen und den Friedhof passieren, sehen wir schon bald die Queste über dem Dorf stehen.

Queste über Questenberg

Queste über Questenberg

Die Queste als uraltes Sonnensymbol ist ein gewaltiger Kranz, einem Wagenrad ähnelnd und aus Baumzweigen geflochten, der traditionell an Pfingsten jedes Jahr in einem zeremoniellen Brauchtumsfest erneuert wird. Obwohl das Gasthaus leider an diesem Tag eigentlich geschlossen hat, haben wir Glück: wir können unseren Durst dennoch stillen und auch den Hunger nach – Eis ;-). Frau Gast erzählt uns derweilen mehr über das traditionelle Questenfest. Vielleicht werden wir es irgendwann zu Pfingsten einmal selbst besuchen.

Roland in Questenberg

Roland in Questenberg

Anschließend erkunden wir den Ort, der verschiedene Sehenswürdigkeiten bietet. Auffällig ist vor allem eine bunt bemalte Rolandsfigur, Sinnbild von Marktrecht und eigener Gerichtsbarkeit, vor allem dort, wo das Recht des Sachsenspiegels galt – eine solche Figur befindet sich seit 1437 in Questenberg, so eine im Ort angebrachte Tafel. Eine weitere Hinweistafel beschreibt das traditionelle Questenfest noch einmal mit folgenden Worten:

„Das uralte Symbol mit reicher Vergangenheit steht auf dem Bergrücken des Questenberges, südwestlich des Dorfes. Jährlich zu Pfingsten kommen viele Gäste, um bei dem Schauspiel dabei zu sein, wenn nach einem genau festgelegten Ritual der Kranz des Vorjahres abgenommen und mit frischem Grün geschmückt wird. In den frühen Morgenstunden des Pfingstmontages, vor Sonnenaufgang, wird der zentnerschwere Kranz des Vorjahres von der Questenmannschaft abgenommen. Die alten Büschel des alten Kranzes werden verbrannt. Gemeinsam wird die aufgehende Sonne begrüßt, bevor man wieder ins Dorf hinab steigt. Am Nachmittag desselben Tages werden der Kranz und die Quasten mit frischem Grün geschmückt und wieder am Stamm befestigt. Nicht nur das Erlebnis in den Morgenstunden, sondern auch die fröhlichen Nachmittagsstunden, lassen alljährlich viele Freunde des Festes wiederkommen.“ (3)

In früherer Zeit wurde wohl auch jährlich der Baum neu aufgerichtet, an dem die Quäste hängt.
Nun nehmen wir den steilen Aufstieg zur Burgruine Questenberg in Angriff, die sich auf dem Hügel gegenüber der Queste befindet. Diese Burg wurde um 1270 von den Grafen von Beichlingen erbaut und gelangte später in den Besitz der Grafen von Stolberg. Nach dem 30jährigen Krieg zerfiel sie allmählich, zu besichtigen sind das Kammertor, die Kelleranlagen und der Bergfried. (4)

Schön ist es hier oben, es regnet nicht mehr, und man hat einen wunderbaren Blick auf die Quäste gegenüber. Die Gewölbereste sind windgeschützt und der Boden mit trockenem Laub bedeckt. Hinab steigen wir wieder, um am Abend auch noch die Queste selbst in Augenschein zu nehmen. An einem mit Gänsen besiedelten Dorfbach steigen wir steil den gegenüberliegenden Hang wieder hinauf, natürlich nicht ohne die am Fuß des Hangs befindlichen Gletschertöpfe gebührend zu würdigen. Die Gletschertöpfe sind eigenartige Löcher im Gipsgestein, die der Nassefluß in früherer Zeit geschaffen hat. Dann endlich haben wir es geschafft: wir stehen ob an der Queste. Sehr still ist es hier in diesen Abendstunden, sehr friedlich und idyllisch, ein offener Platz, von Birken und Büschen umsäumt, die Felsen, auf denen die Queste steht, von wildem Thymian bewachsen. Massiv steht die Queste da und ragt mächtig in den Abendhimmel. So still wie die Landschaft sind auch wir hier oben und blicken auf den Ort hinunter.

Den Abend lassen wir mit der Quästensage enden:
Ein wilder Ritter, Kurt von Finsterberg, hatte sich aus der Fremde eine sanfte Frau geholt, die ihm ein Kind, die kleine Maria, gebar. Vergebens versuchte die zarte Frau, den Ritter von seinem wüsten Treiben abzuhalten; aus Kummer über sein Treiben verstarb sie bald und ließ die kleine Tochter als Halbwaise zurück. Auf dem Totenbett gelobte der wilde Ritter seiner Frau, von seinem Tun abzulassen und sich nur noch seiner Tochter zu widmen. Doch schon bald erwachte im Ritter wieder das Verlangen, wilde Raubzüge zu unternehmen, und er ließ die kleine Maria unter der Obhut einer Kinderfrau zurück. Während der Ritter wieder ringsum im Land hauste, kam der Tag, an dem die Kinderfrau unaufmerksam das Kind alleine im Burggarten zurückließ. Das kleine Mädchen folgte beim Spiel bunten Blumen, die sie zu Kränzen wand, und schönen Schmetterlingen bis auf die Wiesen hinunter und immer weiter von zu Hause fort. Heim fand sie nicht mehr, aber sie wurde von einem armen Köhlerehepaar gefunden und aufgenommen.Der Vater wiederum war außer sich vor Schmerz, als er nach seinen Raubzügen auf seine Burg zurückkehrte und das Kind nicht wiederfand. Erneut gelobte er Besserung, sollte ihm Gott seine Tochter wieder zurückgeben.
Am dritten Pfingsttage wurden Bauern aus Rota, einem nahegelegenen Dorf, auf das Kind aufmerksam, das so schöne Kränze (Quästen) aus Blumen wand und keines der Köhlerkinder sein konnte. So brachten sie dem Ritter die Tochter zurück und wurden reichlich entlohnt. Von diesem Tag an stellte der Ritter seine Raubzüge ein, gab seiner Burg einen freundlicheren Namen – Quästenburg nach den Kränzen, die seine Tochter gewunden hatte – und ließ alljährlich an diesem Tag ein großes Volksfest feiern. (5)
Andere nehmen an, daß der Brauch des Questenfestes bereits auf germanische Zeiten zurückgeht, da die Queste einem Sonnenrad gleicht und der Baumstamm, an dem sie aufgehängt wird, ein Symbol des Lebensbaumes sein könnte.

So ging denn unser zweiter Fahrtentag sagenhaft zu Ende.

Blick von der Queste auf Questenberg

Blick von der Queste auf Questenberg


(1) Hinweistafel am Wegrand
(2) http://www.lvwa-natur.sachsen-anhalt.de/sanger/nsg0166.htm, abgerufen am 18.03.2013
(3) Hinweistafel in Questenberg
(4) Hinweistafel in Questenberg
(5) Ausführlich in: Im Zauberbann des Harzgebirges, Harz-Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann, neu herausgegeben von Eva Gussek, Verlag Dr. Bussert & Stadeler, Jena/ Quedlinburg 2002, S. 194 – 199, ISBN 3-932906-26-8 – eine andere Version findet sich unter „Mährchen von Questenberg“

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