Hochsommer(tor)tour

Kleiner Fuchs - Aglais urticae

Kleiner Fuchs – Aglais urticae

19.08.2012 – Eigentlich ist es kein guter Tag für eine längere Wanderung. Es sind Spitzentemperaturen angesagt; als ich vom Parkplatz an der Iberger Tropfsteinhöhle bei Bad Grund losgehe, hat es bereits über 30 °C. Aber mir fiel zu Hause die Decke auf den Kopf, und Naturerleben ist immer die beste Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, auch wenn es an solchen Tagen gegen jede Vernunft geht – oder gerade deswegen. Zunächst ist es noch sehr nett, ein schmaler Pfad führt einen waldigen Hang hinauf. Im Frühjahr ist der ganze Wald voller Bärlauch, jetzt bedeckt zahlreiches anderes Grün den Erdboden. Der Iberg war einst ein Korallenriff und besteht aus Kalk; Auswaschungen haben zahlreiche Höhlen entstehen lassen. Selbst heute noch gibt es auf diesem Gebiet immer wieder Erdeinbrüche, weswegen die dringende Warnung besteht, die Wege am Iberg nicht zu verlassen.

Schon nach kurzer Zeit stehe ich oben am Iberger Albertturm und der dazugehörigen Waldgaststätte. Im Frühjahr 2012 bin ich schon einmal hier oben gewesen, und habe einen „verlorenen Ort“ aus meiner Kindheit wiederentdeckt. Manche Erinnerungen sind seltsam lange und seltsam detailliert gespeichert, so hatte ich eine intensive Erinnerung an diesen Platz, diesen Turm, den Spielplatz, die Gaststätte – ich wußte allerdings nicht mehr, WO sich dieser Ort befand, nur, daß es irgendwo im Harz sein mußte. So löste sich ein altes Rätsel…

Dann gehe ich durch Fichtenwald weiter, bald öffnet sich der Wald nach Westen hin zu einer Aussichtsplattform über das Kalksteinabbaugebiet von Bad Grund. Eine Hinweistafel lehrt: „Seit dem Jahr 1938 werden am Winterberg auf einer Fläche von mehr als einem Quadratkilometer Kalksteine des Devons zur regionalen Rohstoffversorgung genutzt. Im Jahre 2005/06 erfolgte auf einer südlich angrenzenden Erweiterungsfläche der Aufschluß des Steinbruchs Iberg.“
Auch zum ehemaligen Kalksteinriff weiß die Tafel einiges zu berichten:
„Das Kalksteinvorkommen entstand zu Beginn des oberen Mittel-Devons (vor ca. 387 Mio. Jahren) im Bereich einer von Wasser bedeckten Beckenregion im Westharz. Es herrschten tropische bis subtropische klimatische Verhältnisse (eine wesentliche Voraussetzung für die Bildung von Riffen), die auf vermutlich vulkanischem Substrat nahe unter der Wasseroberfläche die Ansiedlung erster riffbildender Organismen ermöglichten. In den folgenden Jahrmillionen sank der Meeresboden langsam ab. Während dieser Absenkung konnten die Lebensgemeinschaften kontinuierlich im lichtdurchfluteten Bereich unterhalb der Wasseroberfläche nachwachsen und die Mächtigkeit des Riffes entsprechend vergrößern. Im Laufe der Zeit entwickelte sich so ein atollartiges Riff mit einer Lagune und einem umschließenden Riffkranz. Die Lebensgemeinschaften des Riffs sind heute als Fossilien in den Kalksteinen erhalten: Korallen und Stromatoporen, die als eigentliche Riffbildner den Großteil der Faunengemeinschaft ausmachten; Brachiopoden, die sich am Riff festsetzten; Schnecken, die auf dem Riff weideten; Crinoiden und Bryozoen, die auf der unebenen Oberfläche des Riffs hervorragten.
Das Riffwachstum endete im unteren Ober-Devon (vor ca. 374 Mio. Jahren). Grund dafür war entweder eine stagnierende Absenkung des Untergrundes oder aber ein zu rascher Meeresspiegelanstieg, der von den Organismen nicht mehr kompensiert werden konnte. Übrig blieb ein mehrere hundert Meter mächtiger, chemisch hoch reiner Kalksteinkomplex, der in den nachfolgenden Jahrmillionen durch jüngere Sedimente bedeckt und durch Deformationen der Erdkruste tektonisch beansprucht wurde.“

Foersterstieg

Försterstieg

Der interessierte Wanderer kann darüber hinaus hier auch nähere Informationen über den aktuellen Kalksteinabbau erlangen. Für mich geht es nun weiter bis zur Spinne, einer Kreuzung zahlreicher Wege unterhalb des Hasenbergs. Hier biege ich nach links ab und folge nun lange Zeit dem Harzer Försterstieg, einem Fernwanderweg im Harz. An den Wegrändern blüht Wasserdost, zahlreiche Schmetterlinge kann ich auch heute wieder bewundern. Noch ist die Temperatur einigermaßen erträglich, und bald erreiche ich frohen Mutes die nächste Weggabelung: hier mündet auch der „Keller“, der tiefste Hohlweg im Harz, und nach ihm ist diese Wegkreuzung benannt. Weiter geht es zum „Grünen Platz“, einer weiteren Weggabelung, dann hangaufwärts durch ein von schweren Maschinen durchwühltes Gelände. Nachdem die Forststraße, auf der ich gehe, wieder ebener wird, öffnen sich einige schöne Ausblicke auf die Harzlandschaft.

Dann öffnet sich der Wald ganz, und ich gehe längere Zeit in der schon stark sengenden Sonne. Es wäre sicher vernünftig gewesen, am Futterplatz nach Lautenthal abzubiegen und die Runde kurz zu halten, aber ich folge dem sinnvollen Gedanken nicht und folge dem Försterstieg immer weiter. Am Sternplatz quere ich die Straße zwischen Lautenthal und Seesen; inzwischen wird es schon ein wenig ungemütlich in der Sonne. Der nächste markantere Punkt ist der Luchsstein: „Am 17. März 1818 wurde auf dieser Stelle der letzte Luchs im Harz geschossen“, verkündet ein Gedenkstein. Eine Luchsskulptur verschönert die Stelle im Wald. Im Jahr 1999 beschlossen niedersächsische Ministerien, den Luchs im Harz wieder anzusiedeln. Im Frühjahr 2005 gab es bereits wieder 20 wildlebende Luchse, darunter auch bereits frei im Harz geborene Tiere.

Innerste-Talsperre

Innerste-Talsperre

Doch weiter geht es auf dem Försterstieg, vorbei am Schnapsplatz mit einer Wolfskulptur, vorbei an der Kalten Birke, einer weiteren Wegkreuzung, bis zum Vereinsplatz. Zwischenzeitlich konnte man schöne Ausblicke auf den östlich im Tal gelegenen Innerste-Stausee erhaschen. Hier verlasse ich den Försterstieg (der sich bislang – nomen est omen? – durch eher langweilige geschotterte, breite Forststraßen auszeichnete und daher aus meiner Sicht zumindest auf der von mir begangenen Strecke wenig empfehlenswert ist) und steige hinab ins Tal zum Innerste-Stausee. Ich hatte nicht gewußt, daß dieser Stausee intensiv als Badesee genutzt wird; ich bin aber bereits so aufgeheizt, daß mir eine Badepause nicht sinnvoll erscheint. Eigentlich wäre es schön gewesen, die Wanderung hier zu beenden. Die mitgenommenen Getränke sind beinahe aufgebraucht, mir bleibt für den Heimweg nur noch ein halber Liter plus eine größere Schale mit Wassermelonenstückchen…

Kurz vor dem Parkplatz am südlichen Ende des Innerste-Stausees steige ich wieder hinauf in den Wald. Freude am Wandern ist jetzt nicht mehr dabei, es ist ausschließlich zur Ausdauer- und Härteprobe geworden. Zwar ist es schon Nachmittag, aber die Hitze läßt nicht nach. Sie wird es auch in den nächsten Stunden nicht tun, die übliche Abkühlung gegen Abend erfolgt an diesem extremen Sonnentag nicht. Über das große Trogtal und den Teufelsberg erreiche ich nach einiger Zeit die Straße zwischen Lautenthal und Seesen, etwas östlich des Sternplatzes, an dem ich vor Stunden die Straße bereits gequert hatte. Weiter geht es Richtung Lautenthal bis zum Besucherbergwerk. Mittlerweile ist schon früher Abend. Erneut geht es einen kleinen Hang hinauf, dann führt mich der Weg parallel zum Flüßchen Innerste, die allerdings viel tiefer liegt, langsam aber sicher in die richtige Richtung zurück. Kein anderer Wanderer ist unterwegs, aber ich begegne immerhin einem Jogger, der seine Runde selbst an diesem heißen Abend dreht. Allmählich steigt die Forststraße zum Grünen Platz hin an, den ich schon vom Hinweg her kenne, nun wandere ich wieder auf dem Försterstieg zurück: vorbei an der Spinne, jedoch hier nicht Richtung Iberger Albertturm, sondern zum Schweinebraten,eine Weggabelung, die eine riesige Wildschweinskulptur ziert. Jetzt habe ich es fast geschafft! In der Abenddämmerung geht es nur noch einen kurzen, aber steilen Waldpfad hinunter, dann stehe ich wieder auf dem Parkplatz der Iberger Tropfsteinhöhle. Nie wieder bei solcher Hitze, das nehme ich mir an diesem Tag fest vor – es hat jetzt, um halb neun Uhr abends, immer noch 29 °C. Unvernunft wird bestraft! ;-)

Bei Lautenthal

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