Alle Wege führen nach Osten…

Harzer Grenzweg

Harzer Grenzweg

22.07.2014: Zorge – Stiefmutterhütte an der Hundertmorgenwiese – Wendeleiche – Roter Schuß – Wendeleiche – Stiefmutterhütte – Zorge

Heute sind wir auf dem Gebiet der ehemaligen innerdeutschen Grenze unterwegs und beginnen unsere Wanderung am Parkplatz vor dem ehemaligen Kurhaus in Zorge. Zorge gehörte zum Westteil, also zu Niedersachsen, hat aber heute sichtlich seine besten Zeiten schon hinter sich. Dennoch steigen wir vergnügt an einem Bächlein auf schmalem Pfad aufwärts, dann auf gekiester Forststraße weiter bergan, bis wir mit der Stiefmutterhütte an der Hundertmorgenwiese die Anhöhe erreicht haben. Noch sind wir bester Laune, wunderbar schimmert das Licht über die Bergwiesen und die darauf grasenden Rinder der Rasse Harzer Rotvieh hinweg. Dann beginnt das Abenteuer – ein struppiger, beinahe zugewachsener Pfad, nur mit Mühe auffindbar, weist uns auf den ehemaligen Grenzweg.

Hundertmorgenwiese

Hundertmorgenwiese

Ursprünglich wollten wir hierauf nach Süden wandern und über den Flecken „Pfaffenborn“ zum Platz „Roter Schuß“ gelangen. Aber der Grenzweg erweist sich als sehr schmaler, verwahrloster Pfad. Wirklich folgen wir ihm eine Weile nach Süden, sind uns aber bereits unsicher, weil die Gegend ein wenig den Eindruck macht, als käme hier fast nie jemand vorbei. Ein Wegweiser zeigt nach links Richtung Pfaffenborn – nur… der Weg ist mit Gehölzschnitt zugeschüttet worden. Sollen wir wirklich…? Es sieht so aus, als ende der Weg möglicherweise im Waldnirvana, so kehren wir um und folgen dem Grenzweg in die andere Richtung, nach Osten.

Gehölzschnitt versperrt den Wanderweg

Wanderer erwünscht ?

Wendeleiche

Wendeleiche

Auch hier verläuft er nur als schmaler Pfad, ist aber wenigstens ausgeschildert und sieht etwas häufiger begangen aus. Bald beginnt er, unsere Kondition zu fordern, denn er führt keineswegs eben auf der Anhöhe weiter, sondern wechselt zwischen steilem Bergauf und Bergab – und das bei sommerlichen Temperaturen. Dennoch haben wir bald unser nächstes Ziel, die Wendeleiche, erreicht. Sie trägt ihren Namen von einer nur noch in Überresten vorhandenen Aussichtsplattform, auf die eine Art Wendeltreppe hinaufgeführt haben soll. Ein schöner Rast- und Picknickplatz!

Leider hören wir durch die Bäume Forstarbeiten und hoffen, momentan noch ungestört daran vorbeizukommen, bevor womöglich der Weg gesperrt wird – so rasten wir nicht lange, sondern wandern zügig weiter. Ein wenig verwirrend ist die Wegführung, erneut ein ständiges steiles Bergauf und Bergab, viele Kurven und Wechsel der Richtung, so daß allmählich die Richtungsorientierung stark zu leiden beginnt. Aber der Weg ist ordentlich ausgeschildert und so erreichen wir ohne große Mühe den Rastplatz „Roter Schuß“. Was wir hier vorfinden, dürfte einzigartig im Harz sein: eine großzügig angelegte, recht neu wirkende Schutzhütte ist ausgestattet mit Wanderkarte, Wanduhr (die sogar korrekt geht), Thermometer und Gästebuch samt frisch zugespitzten Stiften. Man kommt sich ein wenig so vor, als trete man in die gute Stube einer Privatperson. Irgendjemand muß sich die Mühe machen, die Hütte jeden oder alle paar Tage intensiv zu betreuen und zu pflegen – unwillkürlich stellt man sich vor, daß bei einem Fehlverhalten sofort ein Wächter parat steht, um den Ungezogenen in seine Schranken zu weisen… Auch erzählt uns eine Tafel, daß der Name „Roter Schuß“ von einer Sage herrührt, in der ein braver junger Jäger von einem finsteren Wilddieb erschossen wurde, worauf der ganze Berg aus Scham über die üble Bluttat errötete – und wirklich, die Erde hat in dieser Gegend eine rote Färbung.

Auf dem Weg zum Roten Schuß

Auf dem Weg zum Roten Schuß

Wir genießen die wirklich wunderschöne Aussicht auf die Umgebung von Ellrich (Osten), vespern ausgiebig und brechen dann für den Rückweg auf… Sagen wir es so: auf der Karte sieht alles ganz einfach aus. Der Weg ist nicht weit, alles wirkt überschaubar nah beieinander und ziemlich eindeutig. Wir haben geplant, zurück zur Wendeleiche zu gehen, dann aber nicht auf unserem Hinweg zurückzuwandern, sondern nach Norden über die Plan-Wiese und durch das Große Tränketal zurück nach Zorge. Bis zur Wendeleiche kommen wir problemlos, doch dann beginnen die Schwierigkeiten. Alle Wegweiser, die wir finden, weisen uns nach Ellrich, also nach Osten. Die Wege beinhalten zahlreiche Wechsel der Himmelsrichtung, und bald haben wir völlig die Orientierung verloren. Eigentlich müßte bald eine größere Forststraße auftauchen, die parallel zum Grenzweg verläuft und auf der wir zurückwandern können – eigentlich… Doch den Gefallen tut sie uns nicht. Auch der nächste, übernächste und überübernächste Wegweiser weisen nur nach Ellrich – nach Osten, aber nicht nach Zorge, nach Westen… Wir vermuten allmählich schon, daß sich irgendeiner beim Schilderanbringen den Spaß erlaubt hat, von Westen gestartete Wanderer zu verirren und ins Staatsgebiet der ehemaligen DDR unwiderruflich hineinzulocken, und stellen uns dabei einen im Gebüsch versteckten grinsenden Rentner vor, der sich vor Freude kaum halten kann, daß sein Plan aufgeht. Vielleicht derjenige, der auch die Hütte am Roten Schuß eingerichtet hat…

Schutzhütte Roter Schuß

Schutzhütte Roter Schuß

Wir entdecken jedenfalls niemanden, und die Unsicherheit, daß die Richtung gänzlich falsch sein könnte, nimmt zu. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich im Harz einen Kompaß brauche. Und wirklich: wir gehen nicht, wie ursprünglich angenommen, nach Norden, sondern weiter und immer weiter nach Osten… Kehrtwendung, zurück zur Wendeleiche, wo wir den Plan aufgeben, über das Tränketal nach Zorge zurückzuwandern. Stattdessen benutzen wir den Hinweg, gehen also auf dem Grenzweg zurück, finden auch den Pfad wieder, der uns Stunden früher auf den Grenzweg geführt hatte (auch hier weist der Wegweiser nur auf Ellrich, nicht auf Zorge) und stehen wieder an der Hundertmorgenwiese. Bergab wandern wir gemütlich nach Zorge zurück, waren aber wesentlich länger unterwegs, als wir für diese verhältnismäßig kurze Wanderung eingeplant hatten. Denn: jeder Weg führt eigentlich nur nach Osten, Republikflucht ist bis heute unerwünscht!

Aussicht vom Roten Schuß auf Ellrich und Umgebung

Aussicht vom Roten Schuß auf Ellrich und Umgebung

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