Rauhreif und Eisenten

Eisente - Clangula hyemalis

Eisente – Clangula hyemalis

03.12.2016: Die Nacht ist kalt gewesen. Selbst jetzt – es ist fast Mittag – zeigt das Thermometer noch -3°C an. Reif überzieht die Stauden und Gräser am Ufer des Dechsendorfer Weihers, die Bäume haben ihren zauberhaften kristallenen Überzug im Sonnenschein schon verloren. Die Eisenten haben mir keine Ruhe gelassen; ich hoffe, daß sie noch da sind und ich sie doch noch entdecke. Unter meinen Füßen knirscht das Laub, als ich am Weiher entlanggehe. Das Sonnenlicht spielt mit dem Federkleid der Stockentenerpel; mal schillert ihr Kopfgefieder intensiv grün, mal blau und manchmal auch fast schwarz. Tafel- und Reiherenten tauchen nach Nahrung, und es ist still. Samstags haben die meisten Spaziergänger andere Dinge zu tun; ich genieße die Ruhe der Menschenleere, schaue gebannt auf den See. Ungefähr in der Mitte ein weiß leuchtender Fleck – das Fernglas heraus! Eine Schellente, ein Männchen. Daneben eine weitere Bewegung, die zugehörige braune, weibliche Ente, kurz zu sehen und schon wieder in der Tiefe verschwunden. Keine Eisenten. Malerisch schwimmt ein Höckerschwan unter Weidengeäst, flattert ein Teichhuhn vor meinem Schritt aus dem Schilf, fliegt auf und verschwindet. Der rauhe, knorrende Ruf der Kormorane weht herüber, hin und wieder erhebt sich eine schwarze Silhouette gegen den Horizont, kreuzförmig, düster. Ein Vogel aus einer anderen Welt…

Erpel der Stockente - Anas platyrhynchos

Erpel der Stockente – Anas platyrhynchos

abtauchende weibliche Tafelente - Aythya ferina

abtauchende weibliche Tafelente – Aythya ferina

Kormoran- Phalacrocorax carbo

Kormoran- Phalacrocorax carbo

Weiter geht es, der Weiher wird nun durch Schilf verdeckt. Eine einzelne Ente auf dem See. Fernglas: helle Wangen, eindeutig: ein Weibchen der Kolbenente. Wieder keine Eisente. Baumbestanden nun das Ufer, weiter geht es. Ein Blick durchs Geäst, zum Weiherende hin: dreizehn Graugänse zähle ich, wieder einige Kormorane. Zwei der urtümlichen Vögel brechen in Streit um einen Fisch aus, rufen rauh. Einer sieht herüber, sieht mich, das Fernglas in der Hand. Da ist der Streit vergessen – rasch erheben sich die Vögel in den Himmel. Wo zwei fliegen, fliehen, wollen auch die übrigen nicht mehr bleiben, schließen sich an, ein wildes Rauschen erhebt sich aus dem Wasser. Die Graugänse bleiben unbeeindruckt. Kormorane aber sind scheu, werden gerade in Gebieten mit größerem Fischzuchtanteil von vielen ungern gesehen und auch bejagt. Lieber einmal zu oft ein Fernglas für eine Flinte gehalten als einmal eine übersehen…

weibliche Kolbenente - Netta rufina

weibliche Kolbenente – Netta rufina

Dechsendorfer Weiher, Großer Bischofsweiher

Dechsendorfer Weiher, Großer Bischofsweiher

Das Vorbecken ist weitgehend eisbedeckt, auf der verbleibenden Wasserfläche tummeln sich Blesshühner, Stockenten und einige Reiherenten; auf dem Eissaum stehen Stockenten und schlafen. Ein sicherer Platz, zumindest sicher gegen Landräuber, die das dünne Eis kaum tragen würde. An beinahe derselben Stelle wie in der letzten Woche steht ein Silberreiher, diesmal auf Eis, und blickt herüber. In den Baumwipfeln am Horizont mache ich weitere weiße Flecke und zwei graue aus – aufgebaumte Grau- und weitere Silberreiher. Faszinierend stehen reifüberzogene Doldenblütenkrönchen vor dem Schilf.

Stockenten auf dem Eissaum - Anas platyrhynchos

Stockenten auf dem Eissaum – Anas platyrhynchos

Silberreiher - Casmerodius albus

Silberreiher auf Eis – Casmerodius albus

Doldenblütenkristall

Doldenblütenkristall

Bald habe ich den Weiher wieder erreicht und beobachte nun von der Südseite aus: zahlreiche Tafelenten, einige Reiherenten – draußen auf dem See etwas Helles. Eisenten? Das Fernglas heraus – ach, nur Haubentaucher. Langsam finde ich mich damit ab, daß ich die Eisenten wohl verpaßt habe, daß sie schon längst auf einem anderen See nach Nahrung suchen. So freue ich mich dann doch über einen weiteren Haubentaucher, der dicht vor mir aus dem Schilf herausschwimmt und sich den anderen auf der Mitte des Sees zugesellt – ein diesjähriger, der noch die Streifung des Jugendkleides erahnen läßt.

diesjähriger Haubentaucher - Podiceps cristatus

diesjähriger Haubentaucher – Podiceps cristatus

Kormoran - Phalacrocorax carbo

Kormoran – Phalacrocorax carbo

männliche Tafelente - Aythya ferina

männliche Tafelente – Aythya ferina

Dann, auf Höhe des Strandbades – helle Flecken auf dem See. Andere als bisher. Das Fernglas heraus, wieder Hoffnung. Und tatsächlich – da sind sie! Die Eisenten! Es sind zwei, eine mit einer dunkleren, eine mit einer helleren Kopffärbung. Es sind kräftige Enten, plump fast, mit einem stumpf endenden, starken Schnabel, sehr flach im Wasser liegend – und auch immer nur kurz zu sehen. Sie tauchen ab und wieder auf, mal hier, mal dort. Langsam lerne ich, die Auftauchstelle zu erraten. Ein feines Kräuseln zuerst, ein paar Luftblasen – und dann, dunkel wie ein winziges U-Boot, die ganze Ente. Über eine Stunde beobachte ich die beiden Vögel, gebannt und fasziniert. Der dunkle Halsfleck fällt am stärksten ins Auge, ansonsten wirken sie eher hell. Kurz wendet sich meine Aufmerksamkeit dem Himmel zu, als einige Silberreiher und Kormorane darüberstreichen. Weit draußen auf dem See schaukelt ein Lachmöwenschwarm, dann folge ich wieder den Eisenten. So stehe ich, bis ganz allmählich Dämmerung heranzieht und ich durchgefroren bin bis aufs Mark. Innerlich aber brennt das Feuer der neuen Entdeckung – und ich hoffe, die beiden ungewöhnlichen Vögel nochmals wiederzusehen. Eisenten sind Brutvögel der Arktis und häufige Wintergäste an der Ostsee, in etwas geringeren Zahlen auch an der Nordsee. Ins Binnenland allerdings fliegen sie nur sehr selten.

Eisente - Clangula hyemalis

Eisente – Clangula hyemalis

Dechsendorfer Weiher im Abendlicht

Dechsendorfer Weiher im Abendlicht

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