Karstfahrt – Tag 6 – Vom Himmelreich nach Steina

Kloster Walkenried

Kloster Walkenried

06.07.2012 – Noch ein kurzes Stück können wir durch das Himmelreich wandeln, dann folgt ein kurzer steiler Abstieg zum Itelteich. Er ist der größte Überrest eines Teichsystems, das im Mittelalter von den Walkenrieder Mönchen zur Fischzucht angelegt worden war und ist heute Teil eines Naturschutzgebietes. Er ist in einem Erdfall gelegen; verschiedene Karstquellen bilden seinen Zufluß. Nun schneiden wir den Karstwanderweg ein gutes Stück ab und gehen nicht südlich von Walkenried über die Fischteiche, sondern auf direktem Weg zum Walkenrieder Zisterzienserkloster, von dem im wesentlichen Ruinen sowie ein Museumsgebäude erhalten sind. Am 3. Mai 1525 wurde das bis dahin noch immer äußerst mächtige Kloster Walkenried von rund 800 Bauern während des Bauernaufstands geplündert und schwer beschädigt; in Folge wurde der Ostteil der Klosterkirche aufgegeben. Die Mönche flüchteten mit Papieren und beweglichen Klostergütern, nur wenige verblieben und traten 1546 zu Luthers Lehren über, 1578 starb der letzte – evangelische – Abt. Walkenried beherbergte später eine Lateinschule; während des 30jährigen Kriegs wurde der Versuch einer Rekatholisierung unternommen, letztlich wurden die Klostergebäude aber geschleift und als Steinbruch genutzt. Im 19. Jahrhundert begann man, den Klosterruinen eine Denkmalpflege zukommen zu lassen, Teile der Ruinen verfielen jedoch weiter und stürzten nach und nach ein. Ab 1977 begannen umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen, seit 1984 gibt es regelmäßige Kreuzgangkonzerte, und 1988 wurde die Ruine des gotischen Chores wieder aufgebaut. Im Juli 2006 eröffnete das Klostermuseum, und 2010 wurde das Kloster Walkenried zusammen mit dem Oberharzer Wasserregal zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. (1)

Wir beschränken uns darauf, die Ruinen des Klosters von außen zu betrachten – obwohl nur wenig erhalten ist, stehen sie beeindruckend und erhaben in der gepflegten Rasenfläche. Walkenried ist der erste Westort, den wir seit Beginn unserer Karstfahrt betreten – und man merkt den Unterschied deutlich. Die Dorfstraße wird von vielen Cafés, Restaurants und Läden gesäumt, es herrscht ein lebendiges Treiben vor. Im Ostteil dagegen gibt es keine vergleichbaren Anziehungspunkte für Tagestouristen und Müßiggänger – als die DDR in der Bundesrepublik aufging, war die Zeit für die Gründung solcher Kleingeschäfte schon abgelaufen, wir stehen vor dem Nachhall einer kleinteiligen und reichen Gründerzeit der jungen Bundesrepublik. Aber auch im Westen hat das Sterben solcher Kleingewerbe bereits begonnen. In Walkenried sehen wir davon noch nichts, wohl aber gegen Ende unserer Karstfahrt in Herzberg. Heute jedoch denken wir darüber nicht nach, sondern lassen uns vergnügt beim nächsten Bäcker nieder, und zwei von uns besorgen die letzten Nahrungseinkäufe in einem nahegelegenen Supermarkt. Erneut am Zisterzienserkloster vorbei verlassen wir Walkenried nach dieser Stärkung und wandern an ehemaligen Fischteichen, so dem Holl- und Andreasteich, vorbei durch das Naturschutzgebiet Priorteich/ Sachsenstein, eines der ältesten Naturschutzgebiete Niedersachsens (Unterschutzstellung 1949). Dort bestaunen wir die kleinen Quellungshöhlen der Zwergenlöcher und steigen hinauf zu den Überresten der Burg Sachsenstein und genießen auf einer nahen Aussichtsplattform für kurze Zeit den Blick ins Tal. Weiter geht es – nun wieder in Form eines Abstiegs durch Halbtrockenrasen, hinunter in die Ebene bei Neuhof, wo wir einen schönen Blick auf die weiß leuchtende, hoch aus der Landschaft ragende Sachsensteinwand haben können.

Sachsenstein

Sachsenstein

Wir queren eine größere Straße und wandern dann durch parkartige Landschaft neben Sportplätzen zu den Oberen und Unteren Kranichteichen. Auf dem Weg dorthin passieren wir einen nach historischem Muster nachgefertigten Gipsbrennofen und ein Insektenhotel, denn hier befindet sich ein Lehrpfad rings um Neuhof. OrchideeAm renaturierten Steinbruch des Kranichsteins befindet sich ein neu angelegter Rastplatz; ich nutze die Pause, dem Lehrpfad in das Steinbruchgelände zu folgen und wenigstens kurz ein paar Blicke auf die Flora des Gebietes zu werfen – ebenfalls eine Stelle, die ich gedanklich mit „späterer Wiederkehr“ markiert habe. Weiter geht es durch das Pfaffenholz zur Kolonie Tettenborn und weiter nach Westen durch abwechslungsreiche Feld- und Wiesenlandschaft zum Römerstein, der aus reinem Dolomit besteht. Seinen Namen hat er vermutlich von der Sagengestalt Romar.

Einst soll der Sage nach der Römerstein eine gewaltige Burg des Riesengeschlechts gewesen sein, das mit dem Zwergengeschlecht vom Sachsenstein in einer langanhaltenden Fehde lag. Nun begab es sich, daß Romar aus dem Geschlecht der Riesen in des Zwergenkönigs Reich eine schlafende Jungfrau fand, zu der er in ewiger Liebe entbrannte. Diese Liebe wurde bald von der Schönen erwidert; jedoch stand ihnen die Fehde ihrer Geschlechter im Wege, da sie Rume, die Tochter einer Nixe und des Zwergenkönigs war. Und so kam es, wie es kommen mußte: die heimliche Liebe wurde entdeckt. Romar konnte sich, von den Zwergen schwer verletzt, auf den Römerstein retten, Rume jedoch wurde vom Vater in eine tiefe Höhle eingesperrt und von Kobolden streng bewacht. Oftmals wurde die ganze Gegend von verzweifeltem Weinen erfüllt, das aus der Höhle drang; so erhielt sie im Volk den Namen „Weingartenloch“. Letztlich gelang es Rume aber, zu entkommen – als Tochter einer Nixe hatte sie die Kraft, sich in einen Bach zu verwandeln und ein unterirdisches Bett zu graben. Außerhalb des Reichs ihres Vaters trat sie dann als sichtbarer Strom zu Tage. Im Frühjahr füllt das Flüßchen den Nixteich (heute Nüxei), und Romar kehrt vom Römerstein wieder, um die ewige Liebe erneut zu besiegeln. (2)

Roemerstein

Roemerstein

Vom Römerstein aus wandern wir auf Asphalt, eine Bahnstrecke querend, immer geradeaus nach Steina. Auf den Staufenbüttel steigen wir nicht, denn in einem Mitwanderer ist ein heftiger Hunger nach Eis entbrannt, dem wir schnellstmöglichst zu entsprechen suchen – wir hoffen auf ein Café in Steina. Dabei passieren wir im Ort das Pestkreuz, dessen Hinweistafel uns folgendermaßen belehrt:
„Dieses Steinkreuz stand vor 1931 in der oberen Wartegasse. Die Inschrift „17tt49“ bedeutet: daß hier in Steina im Jahre 1749 die Pestkrankheit herrschte. Nur etwa 100 Einwohner sollen überlebt haben. Der Dorfälteste ließ von den Verstorbenen alle Kleidungsstücke in der Wartegasse verbrennen. tt bedeutet Tod u. Unglück. Der Chronist“ (Rechtschreibfehler aus dem Original beseitigt ;-)

Zunächst scheint es, als hätten wir großes Pech: das Kurhaus ist geschlossen, sonst weit und breit nichts verfügbar. Ein Anwohner rät uns, das Hotel „Zum Mühlenberg“ aufzusuchen, was wir dann auch tun. Und hier haben wir jede Menge Glück und treffen auf große Gastfreundschaft. Eis gibt es zwar nicht – aber kühle Getränke sind uns auch willkommen. Der Inhaber betrachtet uns fasziniert, so etwas wie uns hat er offenbar noch nie gesehen (wir sind zugegebenermaßen auch mittlerweile ein klein wenig verschmutzt ;-). Insbesondere der Rucksack desjenigen, der fast das gesamte Gemeinschaftsgepäck freiwillig übernommen hat, löst bei ihm Erstaunen und Nachdenklichkeit aus. Er kann gar nicht fassen, wie man einen solchen Rucksack freiwillig überhaupt aufsetzen kann. Länger unterhalten wir uns, dann beschließt er, uns etwas Gutes zu tun, und bietet uns an, uns in den zu seinem Hotelschwimmbad gehörigen Duschen zu erfrischen. Dankbar nehmen wir das Angebot an, und es ist nach diesen Wandertagen einfach herrlich und erscheint uns als purer Luxus. Eine warme Dusche! Im Salzaquellbad in Nordhausen hatte es nur kaltes Wasser gegeben…

Hinterher erkundigt er sich weiter, wo wir ursprünglich herkommen und wie wir auf eine solche Idee gekommen sind. Er spendiert Kuchen und erläßt uns auch die Bezahlung der Getränke. Da er sich als Südtirolfan erweist und seinen Hotelgarten mit zahlreichen wunderbaren Holzschnitzereien ausgestattet hat, singen wir zum Abschied und als Dankeschön das Südtirollied: Wohl ist die Welt so groß und weit…

Gut gelaunt ziehen wir weiter, steigen durch Wiesen einen kleinen Hang hinauf und wandern dann bis zur Dämmerung am Waldrand des Mühlenbergs entlang, von dem aus wir eine wunderschöne Aussicht genießen. In der Nacht sehen wir über uns einen wunderbaren, klaren Sternenhimmel.

Mond am Muehlenberg

Mond am Muehlenberg


(1) http://www.kloster-walkenried.de/index.php?cPage=3&sPage=0, abgerufen am 20.03.2013
(2) ausführlicher: Römerstein und Nixei, in: : Im Zauberbann des Harzgebirges. Harz-Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann, neu herausgegeben von Eva Gussek, Verlag Dr. Bussert & Stadeler, Jena/ Quedlinburg 2002, S. 166 – 169

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