Karstfahrt – Tag 7 – Von Steina bis ins Mönchetal

Braunrote Stendelwurz - Epipactis atrorubens

Braunrote Stendelwurz – Epipactis atrorubens

07.07.2012 – Erneut brechen wir auf, gehen noch ein Stück am Mühlenberg entlang, dann hinein in den Wald. Am Naturdenkmal Eulenstein biegen wir nach links Richtung Bad Lauterberg ab. Der Weg ist hüfthoch bewachsen und anscheinend unbegangen. An der nächsten Weggabel wissen wir, wieso: parallel läuft ein gut gepflegter, breiter Waldweg, nur die verrückten Karstwanderer hatte man mit der Karstwanderwegmarkierung ins Gestrüpp geschickt! Immerhin: wir haben keine Zecken eingesammelt, und es sollte ja ein wenig abenteuerlich werden.

Immer weiter geht es durch den Wald, bis wir Bad Lauterberg im Tal liegen sehen. Dann beginnt es, erneut zu regnen. Noch eine letzte Anhöhe müssen wir erklimmen, dann finden wir einen überdachten Rastplatz am Aussichtspunkt auf Bad Lauterberg vor. Das Glück, einen trockenen Unterstand zu finden, ist nicht vollkommen: die Rasthütte ist voller Müll, Zigarettenkippen, Scherben und leerer Flaschen und stinkt aus allen Ritzen intensiv nach Alkohol. Trotzdem beißen wir in den sauren Apfel und stellen uns unter, bis der Regenguß vorüber ist – der letzte auf unserer Fahrt. Kegelförmig erhebt sich der Kummelberg vor unseren Blicken. Als der Regen endet, steigen wir über Wiesen hinunter nach Bad Lauterberg, wandern vorbei am Eisenhüttenmuseum und unter Klippen an der Oder entlang. Dann folgt das „Downlight“ unserer gesamten Fahrt: von der Oder weg führt uns der Karstwanderweg eine sich endlos lang ziehende Strecke (in Wahrheit handelt es sich nur um einen einzigen Kilometer) durch eine Ein- und Mehrfamilienhaussiedlung in Barbis. Exakte Gartenzäune, peinlich abgezirkelte Blumenbeete, Gartenzwerge und blitzblanke Steinpflaster verursachen beim Vorübergehen schon beinahe Magenschmerzen ob ihres spießbürgerlichen Charmes. An einem Supermarkt füllen wir das letzte Mal unsere Lebensmittelvorräte auf. Wir beiden Frauen sind vorausgegangen, warten an der Ecke des Supermarktes auf die Männer, als uns ein intensiv nach Alkohol riechender älterer Mann anspricht und teils beleidigend, teils unangenehm aufdringlich agiert. Er reagiert auch nicht auf eine klare Ansage, daß wir nichts mit ihm zu tun haben wollen. Aber als unsere beiden männlichen Mitwanderer um die Ecke biegen, verschwindet er sofort.

Burgruine Scharzfels

Burgruine Scharzfels

Zügig verlassen wir nach dem Einkauf diesen ungemütlichen Ort und steigen sehr steil durch nasse Wälder hinauf zur Ruine Scharzfels, wo wir uns noch einmal einen „Einkehrschwung“ gönnen. Burg Scharzfels galt einst als unneinnehmbare Festung, wurde dann aber 1761 während des Siebenjährigen Kriegs doch von französischen Truppen erobert. Frisch gestärkt geht es nun wieder steil bergab Richtung Einhornhöhle. Unten am Bach angekommen, steigen wir wieder steil zur Höhle hinauf. Man würde sich hier eine Brücke wünschen, die Ruine Scharzfels mit der Einhornhöhle verbindet, aber so eine Fahrt soll ja nicht nur ein Spaziergang sein…
Die Einhornhöhle ist eine große, für Touristen ausgebaute Schauhöhle. Ihren Namen hat sie von Knochenfunden, die man dem Einhorn zuordnete, Leibniz bildete sogar ein in der Höhle gefundenes Einhornskelett ab. Tatsächlich fand man in der älteren Ablagerungsschicht Knochen von Wölfen, Fischottern, Dachsen und Höhlenbären, meist in zerschlagener Form, wohl von Menschenhand, um an das nahrhafte Mark der großen Röhrenknochen zu gelangen. Auch in der zweiten, jüngeren, nacheiszeitlichen Schicht wurden Knochen gefunden: solche des Höhlenbären, von Wölfen und Fischottern, von Wildschweinen, Hirschen und Rehen. Knochen von Haustieren fanden sich jedoch erst in der dritten, jüngsten Schicht, ebenso zahlreiche Topfscherben, Werkzeuge und Perlen aus Ton, Knochen und Bernstein. (1)

An der Einhornhöhle rasten wir nochmals und lassen uns zu Eis verführen; danach nehmen wir den Zufahrtsweg zum Parkplatz an der Einhornhöhle hinunter zum Ort. Dunkle Gewitterwolken sind erneut aufgezogen, wir hoffen, noch rechtzeitig vor dem Losbrechen wahlweise den Ort oder die nahegelegene Steinkirche zu erreichen. Bei einer späteren Tageswanderung konnte ich feststellen, daß auf dem Weg zur Steinkirche nicht nötig ist, hier die Asphaltstraße zu gehen. Am Rand des Parkplatzes, zum Wald schauend und direkt am Waldrand gelegen, zweigt ein schmaler Pfad nach links in den Wald hinein ab. Wenn man diesen Weg nimmt, spart man sich den Umweg über Scharzfeld und gelangt auf schönen Waldpfaden zur Steinkirche, passiert dabei auch einen netten Rastplatz mit Kneippbecken und erreicht die Steinkirche über das Turnvater-Jahn-Denkmal auf dem Steinberg.

Taubenschwaenzchen an Natternkopf

Taubenschwaenzchen an Natternkopf

Aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt nicht, wandern also , der Markierung folgend, hinunter in den Ort Scharzfeld und hinüber zum Steinberg, den wir nun sozusagen „von unten“ erklimmen. Der ganze Steinberg ist von Halbtrockenrasen bedeckt und bietet eine faszinierende Flora und Schmetterlingsvielfalt. Auch die Dornige Hauhechel finde ich hier wieder, auffallend ist auch der Natternkopf (Echium vulgare). Ein Schmetterling mit dem Verhalten und Aussehen eines Kolibris – das Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum) – schwirrt von Blüte zu Blüte, und – fast! – alle Versuche, ihn vernünftig mit der Kamera einzufangen, scheitern. Die Gewitterwolken haben sich unterdessen wieder verzogen.

Die Steinkirche ist ein Höhlenraum im Steinberg, die in der Altsteinzeit von Rentierjägern als Lagerplatz genutzt wurde. Ab dem neunten Jahrhundert wurde sie zu einer Kirche umgestaltet, beispielsweise ein Alter in die Felswand gehauen. Auf dem Vorplatz vor der Höhle fanden Bestattungen statt. Ein ausführlicher Bericht über die Steinkirche findet sich hier.

Der Sage nach soll die Kirche auf folgende Weise entstanden sein: während auf den Bergen aus heidnischem Brauch Feuer für die Göttin Ostara und den Gott Krodo entzündet wurden, trat mitten in die wilde Feier ein Eremit und verkündete die christliche Lehre. Bald wurde er von der wütenden Menge festgenommen und sollte wegen des Frevels an ihren Göttern getötet werden. Der Eremit betet zu Gott, er möge ihm Kraft geben; danach entriß er einem Nahestehenden eine hölzerne Axt und sprach:
„So wahr ich mit diesem schwachen Werkzeuge das harte Gestein spalten und aus dem unerschütterlichen Felsen einen Tempel zur Verehrung des alleinigen Gottes schaffen werde, so wahr ist in dem Worte, welches ich euch predigte, das wahre Heil und die höchste Kraft.“
Mit einem Acthieb auf den Felsen öffnete sich die Höhle; im selben Augenblick brach die Sonne durch die Wolken und erleuchtete sie mit ihren Strahlen. Auf diese Weise sollen die Heiden zum Christentum bekehrt worden sein. (2)

Eine ganze Weile rasten wir noch an der Steinkirche, steigen auf dem Steinberg umher und besichtigen das Turnvater-Jahn-Denkmal, dann verlassen wir die Steinkirche und gehen durch das Mönchetal zu einer nahegelegenen Schutzhütte, wo wir die Nacht verbringen. Als wir uns dort niederlassen, steht ein Regenbogen über dem Wald, und nicht weit entfernt finden wir einen Standort der Braunroten Stendelwurz (Epipactis atrorubens), einer einheimischen Orchidee. Unser letzter Fahrtenabend auf dieser sommerlichen Karstfahrt…

Vor Bad Lauterberg

Vor Bad Lauterberg


(1) so berichtet zumindest folgender Text: Die Einhornhöhle, in: Im Zauberbann des Harzgebirges. Harz-Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann, neu herausgegeben von Eva Gussek, Verlag Dr. Bussert & Stadeler, Jena/ Quedlinburg 2002, S. 162 – 165
(2) ausführlicher: Die Steinkirche, in: Im Zauberbann des Harzgebirges. Harz-Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann, neu herausgegeben von Eva Gussek, Verlag Dr. Bussert & Stadeler, Jena/ Quedlinburg 2002, S. 160 – 161

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