Nach einer halben Stunde etwa erreiche ich die Holzbrücke, die auf die Vogelinsel führt. Auf der Vogelinsel gibt es einen Beobachtungsturm, von dem aus man Wiesen- und Uferflächen mit zahlreichen Vögeln beobachten kann. Die Distanzen sind teilweise recht hoch, so daß man eigentlich ein Spektiv mitbringen muß – ein normales Fernglas vergrößert zu schwach. Da ich aber auch um den See herumlaufen will, habe ich nur ein Fernglas dabei, hier wiederum wäre wieder das Spektiv zu schwer. In der Ferne entdecke ich tatsächlich die gewünschten Spießenten… leider kommen sie nicht näher an mich heran. Außerdem sind die Uferflächen geprägt von Pfeif-, Krick- und Löffelenten, etwas entfernter stehen einige Große Brachvögel. Das Licht ist nicht gut, die Sonne steht entgegen, und Wasserdunst schwebt über dem See. Besser ist es, gleich nach Sonnenaufgang hier zu stehen oder aber am Abend; aber hinterher ist man immer klüger.
Nachdem ich genug darauf gehofft habe, dass die Spießenten näher kommen – den Gefallen taten sie mir nicht – ging es wieder zurück. An der Holzbrücke dann eine besondere Begegnung, nein, eigentlich gleich zwei, kurz hintereinander. Zunächst: ein Kormoran, ganz nah, überhaupt nicht scheu! Welche Faszination, diesen Vogel so genau betrachten zu können! Diesen Vogel, der im Flug wirkt wie ein schwarzes Kreuz am Himmel – diesen Vogel mit den seegrünen Augen, der sonderbaren Gestalt, den Vogel aus einer Anderwelt… ich schaue ihm lange zu, wie er an der Brücke taucht; eine einmalige Gelegenheit. Kormorane werden von den Teichwirten und Anglern nicht gerne gesehen, sie jagen nicht nur alleine, wie der Vogel vor mir, sondern im Rudel, wie Unterwasserwölfe, und können so kleinere Teiche komplett leerfischen. Daher werden sie an vielen Stellen geschossen und sind dementsprechend scheu – der Kormoran vor mir nicht.
Wie ich da so stehe und schaue, kommt ein alter Mann auf mich zu und spricht mich an. Er nennt seinen Namen – nennen wir ihn mal H. (von der Redaktion geändert ;-), sein Alter (über 70), und fängt an, aus seinem Leben zu erzählen. Jedes Jahr ist er hier, sagt er, am Campingplatz bei Wald, zwei Wochen mit dem Wohnmobil, immer ohne seine Frau. Nun ja… Außerdem sagt er, daß „echte Vogler“, er meint Ornithologiebegeisterte, natürlich nur Männer sein können. Frauen hätten ja nicht die Geduld dazu, und würden auch nie alleine unterwegs sein, wo man doch so am meisten sieht. Ach ja… die Situation wirkt skurril, sein Redestrom ist kaum zu stoppen, und eigentlich will ich weiter – und nicht kostbare Stunden mit Klischees vergeuden… Ein anderer „Vogler“ betritt die Brücke, H. wendet sich ihm zu und von mir ab. Puh – so ein Glück! Jetzt schnell weg…!
Nach einer Viertelstunde beschließe ich, eine Vesperpause einzulegen – und setze mich auf eine Bank. Ein Kardinalfehler! Freudestrahlend kommt H. auf mich zu und setzt sich neben mich. Ade, Stille… sein Redefluß überschüttet mich erneut. Ich stehe auf, erkläre ihm, daß ich um den ganzen See herumlaufen will, und gehe weiter. Er schließt sich an, geht neben mir. Dann beginnt er, mich von der Seite her zu schubsen. Die Situation wird immer skurriler. Es ist nicht gefährlich, er ist einen Kopf kleiner als ich und nicht mehr der stärkste, aber – Realsatire! Ich sage ihm, daß ich nicht geschubst werden möchte. Er schubst erneut. Ich sage es deutlicher – er hört auf. War das seine Form des Anbandelns? Hat es bisher immer geklappt, ohne Frau im Wohnmobil auf dem Campingplatz bei Wald? Geht es ihm um Ornithologie – oder eher um andere Dinge? Können deshalb nur Männer „echte Vogler“ sein? Fragen über Fragen… Zum Glück hat er jetzt genug von mir und biegt nach links an die Altmühl ab. Endlich! Den Rest des Weges kann ich ungestört fortsetzen und den sonnigen Frühlingstag genießen.
Kurz vor Wald allerdings kommt mir ein alter Mann entgegen… ja, es ist wieder H.. Anscheinend sind aller guten Dinge drei und diesmal habe ich Glück: er entdeckt nicht weit entfernt einen Bekannten und grüßt mich nur kurz. So gehe ich schnell weiter und beobachte, fast am Parkplatz angekommen, noch ein Paar Haubentaucher bei der Balz. Irgendwann werde ich auch die Spießenten noch besser beobachten können – für heute muß ich mich mit dem fernen Blick darauf zufriedengeben. Immerhin habe ich sie überhaupt gefunden!